08 - Im Angesicht des Feindes
an einem Haken hinter der Tür hing. Aber er war völlig verdreckt und roch unangenehm muffig. Unmöglich konnte man das Ding jemandem anbieten und erwarten, daß er es benützen würde.
Ach verdammt, dachte sie. Sie war nicht der Typ Frau, der duftende Leinentaschentüchlein für tränenreiche Gelegenheiten mit sich herumschleppte, und den Klumpen zusammengeknüllter Papiertücher, der in ihrer Jackentasche steckte, konnte sie ihm zur Vollendung seiner Waschungen bestimmt nicht zumuten. Sie überlegte gerade, ob das Schreibmaschinenpapier, das in halb aufgerissener Verpackung an der Tür lag, um zu verhindern, daß sie zufiel, genug Saugkraft besaß, als er den Kopf vom Becken hob, sich mit nassen Händen durch das Haar fuhr und das Problem für sie löste. Er zog sein Hemd aus der Hose und trocknete sich das Gesicht mit den Zipfeln.
»Tut mir leid«, sagte Barbara. Sie bekam flüchtig seine Brust zu sehen. Nicht übel, dachte sie, leicht behaart, aber nicht so, daß man gleich an äffische Vorfahren dachte. »Ich hab' Sie an meinem Wagen gesehen und völlig automatisch reagiert.«
»Das zeugt von einer guten Ausbildung«, meinte er, während er sein Hemd rundherum wieder in die Hose stopfte. »Und von Ihrer Erfahrung.« Er lächelte schief. »Und zeigt, wo's mir fehlt. Aber darum sind Sie ja auch von Scotland Yard, und ich nicht. Wie alt sind Sie überhaupt? Ich hab' jemanden so um die Fünfzig erwartet, im gleichen Alter wie mein Sergeant.«
»Dreiunddreißig.«
»Mann! Sie müssen schwer auf Draht sein.«
Eingedenk ihrer Stolperkarriere bei New Scotland Yard hätte Barbara die Wendung »schwer auf Draht« nicht benutzt, um sich zu beschreiben. Erst in den vergangenen zweieinhalb Jahren, seit sie mit Lynley zusammenarbeitete, hatte sie angefangen, sich wenigstens nicht ganz als Versagerin zu betrachten.
Payne nahm ihr seinen Pulli ab und schüttelte ihn ein paarmal kräftig, um ihn vom Schmutz des Parkplatzes zu befreien. Er zog ihn über den Kopf, fuhr sich noch einmal mit den Händen durch das Haar und sagte: »So, und jetzt den Erste-Hilfe-Kasten, der hier irgendwo sein muß ... « Er kramte auf dem vollgestellten Sims unter dem einzigen Fenster des Raumes herum. Eine Zahnbürste, der die Hälfte der Borsten fehlte, fiel zu Boden. Payne sagte: »Ah, hier« und präsentierte einen staubbedeckten blauen Metallkasten. Er nahm ein Pflaster heraus und klebte es über die Schramme in seinem Gesicht. Dann sah er Barbara lächelnd an.
»Wie lange sind Sie schon dabei?« fragte er.
»Wo dabei?«
»Bei New Scotland Yard.«
»Sechs Jahre.«
Er pfiff lautlos. »Toll. Und Sie sind dreiunddreißig, haben Sie gesagt?«
»Richtig.«
»Wann sind Sie zur Kriminalpolizei gekommen?«
»Mit vierundzwanzig.«
Er zog die Augenbrauen hoch, während er den Staub von seiner Hose klopfte. »Ich hab's gerade erst vor drei Wochen geschafft. Da hab' ich den Lehrgang abgeschlossen. Aber das sieht man mir wahrscheinlich auch an, was? Daß ich total grün bin, mein' ich. Das konnte man schon daran merken, wie ich mich da draußen an Ihrem Wagen benommen hab'.« Er zog den Pulli über seinen Schultern gerade. Die waren auch nicht schlecht, wie Barbara feststellte. »Vierundzwanzig«, sagte er bewundernd und fügte dann hinzu: »Ich bin neunundzwanzig. Glauben Sie, daß das zu spät ist?«
»Wofür?«
»Um das noch zu schaffen, was Sie geschafft haben. New Scotland Yard. Das ist nämlich mein Ziel, wissen Sie.« Wie ein kleiner Junge stieß er mit der Schuhspitze gegen ein loses Stück Linoleum. »Ich meine, da möchte ich hin, wenn ich mal gut genug bin, was ich ja im Augenblick offensichtlich noch nicht bin.«
Barbara wußte nicht recht, was sie ihm über die tägliche Plackerei, die mit herzlich wenig Ruhm und Abenteuer verbunden war, sagen sollte. Deshalb wich sie aus.
»Sie sind erst seit drei Wochen bei der Kriminalpolizei?« sagte sie. »Ist das hier Ihr erster Fall?« Er bohrte seine Schuhspitze noch ein wenig tiefer unter das Linoleum, und das reichte ihr als Antwort.
»Sergeant Stanley ist ein bißchen sauer, daß man jemanden aus London geschickt hat, um die Arbeit hier zu leiten«, sagte er. »Er hat bis halb neun hier mit mir gewartet, dann ist er gegangen. Ich soll Ihnen ausrichten, daß er zu Hause zu erreichen ist, falls Sie ihn heute abend noch brauchen sollten.«
»Ich hab' im Stau gesteckt«, erklärte Barbara.
»Bis Viertel nach neun hab' ich gewartet, dann dachte ich mir, Sie wären vielleicht direkt
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