08 - Im Angesicht des Feindes
nach Amesford gefahren, wo unsere Kriminalpolizei sitzt. Ich wollte gerade selber rüberfahren, als Sie kamen. Ich hab' Sie ums Haus rumschleichen sehen und gedacht, Sie wollten einbrechen.«
»Sie haben mich gesehen? Von drinnen?«
Er rieb sich den Nacken und lachte verlegen. »Um ganz ehrlich zu sein«, bekannte er mit schamhaft gesenktem Kopf, »ich war beim Pinkeln. Draußen hinter dem Schuppen auf der anderen Seite vom Parkplatz. Ich war schon auf dem Weg zum Auto und fand's einfacher, mich in die Büsche zu schlagen, anstatt erst wieder alles auf- und zuzusperren. Ich hab' nicht mal Ihr Auto gehört. Ein klasse Polizist bin ich, was? Kommen Sie. Hier lang.«
Er führte sie nach vorn in ein spärlich eingerichtetes Büro mit einem Schreibtisch, mehreren Aktenschränken und Übersichtskarten an den Wänden. Ein Philodendron mit staubigen Blättern stand traurig in einer Ecke. An seinem Topf klebte ein handbeschriftetes Schild: Abladen von Kaffeeresten und Zigarettenkippen verboten. Ich bin echt.
Zweifellos, dachte Barbara sarkastisch. Die Pflanze hatte eine bedauerliche Ähnlichkeit mit den Objekten ihrer eigenen gärtnerischen Ambitionen.
»Wieso haben wir uns eigentlich hier getroffen und nicht in Amesford?« fragte sie.
»Sergeant Stanley hielt das für besser«, erklärte Payne. »Er hat gemeint, Sie würden vielleicht zuerst den Tatort besichtigen wollen. Morgen, meine ich. Damit Sie sich orientieren können. Mit dem Auto ist es von hier nur eine Viertelstunde. Amesford liegt noch mal fünfundzwanzig Kilometer weiter südlich.«
Barbara wußte, was fünfundzwanzig Kilometer auf einer Landstraße bedeuteten: mindestens noch mal eine halbe Stunde Fahrt. Sie hätte Sergeant Stanleys Rücksicht begrüßt, hätte sie nicht gewisse Zweifel an seinen Motiven gehabt. Mit einer Entschiedenheit, die großenteils vorgetäuscht war, da sie dem Ereignis absolut nichts Positives abgewinnen konnte, sagte sie: »Ich möchte auch bei der Obduktion dabeisein. Für wann ist sie angesetzt?«
»Morgen vormittag.« Payne zog einen kleinen Stapel brauner Aktendeckel, die er vom Auto mit hereingebracht hatte, unter seinem Arm hervor. »Das heißt, wir müssen mit den Hühnern aufstehen, wenn wir vorher an den Tatort wollen. Wir haben hier übrigens ein paar erste Informationen.« Er reichte ihr die Aktendeckel.
Barbara sah das Material durch. Es bestand aus einer zweiten Serie von Fotografien des Tatorts, einer Kopie der Aussage der beiden jungen Leute, die die Leiche entdeckt hatten, detaillierten Aufnahmen des Leichnams, die im Leichenhaus gemacht worden waren, einer genauen Beschreibung des toten Kindes - Größe, Gewicht, natürliche Kennzeichen, Narben usw. - und einer Serie Röntgenaufnahmen. Aus dem Bericht ging ferner hervor, daß dem Leichnam Blut zur Untersuchung durch den Toxikologen abgenommen worden war.
»Unser Arzt hätte die Obduktion gleich gemacht«, bemerkte Payne, »aber er hat vom Innenministerium Anweisung bekommen, damit zu warten, bis Sie hier sind.«
»Keine Kleidung?« fragte Barbara. »Ich nehme an, Sie und Ihre Kollegen haben die Umgebung gründlich abgesucht.«
»Nichts«, erklärte er. »Sonntag nacht hat uns die Mutter eine ziemlich genaue Beschreibung der Sachen gegeben, die die Kleine anhatte, als sie das letztemal gesehen wurde. Wir haben die Beschreibung weitergegeben, aber bis jetzt ist nichts aufgetaucht. Die Mutter hat gesagt -« Er trat neben sie, hockte sich halb auf die Schreibtischkante und blätterte in dem Bericht, »Die Mutter hat gesagt, sie müßte bei ihrer Entführung eine Brille getragen und Schulbücher mit dem Stempel ihrer Schule - St. Bernadette - bei sich gehabt haben. Ach ja, und eine Flöte. Diese Informationen haben wir ebenfalls an die anderen Dienststellen weitergegeben. Inzwischen haben wir das hier herausgefunden.« Er blätterte noch ein paar Seiten weiter, um zu finden, was er suchte. »Wir wissen, daß der Leichnam zwölf Stunden im Wasser gelegen hat. Und wir wissen, daß die Kleine vor ihrem Tod irgendwo in der Nähe von schweren Maschinen war.«
»Woher wissen Sie denn das?«
Payne erklärte. Zu der ersten Schlußfolgerung hatte ein lebloser Floh verholfen, der sich im Haar des Kindes verfangen hatte: Nachdem man ihn herausgekämmt und unter ein Uhrglas gelegt hatte, hatte er eineinviertel Stunden gebraucht, um sich von dem Bad im Kennet & Avon-Kanal zu erholen. Das entsprach ziemlich genau der Zeit, die so ein Insekt brauchte, um nach zwölf Stunden
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