08 - Im Angesicht des Feindes
bestimmt schon bemerkt haben. Trotzdem macht man sich so seine Gedanken ...« Spielend schaffte er den fließenden Übergang vom Glätten der Karte zum Studium seiner Schuhspitzen.
»Es war gut, daß Sie es erwähnt haben, Robin. Diese Orte müssen alle überprüft werden. Und es ist besser, wenn ich das dem Sergeant sage, als wenn Sie es ihm sagen. Sie müssen später weiter mit ihm arbeiten.«
Er hob den Kopf. Er sah gleichzeitig dankbar und erleichtert aus. Barbara konnte sich nicht erinnern, wie es war, so ein Neuling zu sein und so begierig auf Erfolg. Der Constable gefiel ihr, sie empfand so etwas wie schwesterliche Sympathie für ihn. Er schien aufgeweckt und freundlich zu sein. Wenn es ihm erst einmal gelang, seinen Hang zur Verlegenheit in den Griff zu bekommen, würde er vielleicht tatsächlich einen guten Kriminalbeamten abgeben.
»Sonst noch etwas?« fragte sie. »Wenn nicht, möchte ich jetzt gern in meine Unterkunft. Ich muß noch London anrufen und mir erzählen lassen, wie sich die Dinge dort entwickeln.«
»Ach ja, Ihre Unterkunft«, sagte er. »Hm, ja ...«
Sie wartete darauf, daß er ihr sagen würde, wo man sie untergebracht hatte, aber es schien ihm schwerzufallen, ihr das mitzuteilen. Er trat von einem Fuß auf den anderen, zog dann seinen Schlüsselbund aus der Hosentasche und spielte mit ihm herum.
»Das ist jetzt ziemlich blöd«, sagte er.
»Gibt es keine Unterkunft?«
»Doch, doch. Es ist nur ... na ja, wir dachten, Sie wären älter, wissen Sie.«
»Aha. Haben Sie mich vielleicht in ein Altersheim gesteckt?«
»Nein«, antwortete er. »Sie wohnen bei mir.«
»Bei Ihnen?«
Hastig erklärte er ihr, daß er mit seiner Mutter zusammenlebe, daß sie regelmäßig Zimmer an Feriengäste vermiete, daß ihr Haus im Führer des Automobilklubs eingetragen sei, daß Barbara ihr eigenes Badezimmer haben würde - na ja, es sei eigentlich nur eine Dusche, wenn sie dagegen nichts einzuwenden hätte -, daß es in Wootton Cross kein richtiges Hotel gäbe, daß sie im King Alfred vier Zimmer im ersten Stock hätten, wenn ihr das lieber sei ... wenn sie fände, es mache sich nicht gut ... sie und er unter einem Dach, wo sie doch erst dreiunddreißig sei und er neunundzwanzig ...
Die Musik dröhnte, Yellow Submarine mit einem interessanten Echo-Effekt, der durch die engstehenden Mauern der Dorfstraße hervorgerufen wurde. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, daß die Band ihre Instrumente in nächster Zukunft zusammenpacken würde.
»Wo wohnen Sie?« fragte Barbara Robin Payne. »Vom Pub aus gesehen, meine ich.«
»Am anderen Ende.«
»Einverstanden«, sagte sie.
Eve Bowen machte kein Licht, als sie in Charlottes Zimmer trat. Das war die Macht der Gewohnheit. Wenn sie - gewöhnlich weit nach Mitternacht - aus dem Unterhaus heimkehrte, sah sie stets nach ihrer Tochter. Das war die Macht der Pflicht. Mütter sahen nach ihren Kindern, wenn sie, lang nachdem die Kinder zu Bett gegangen waren, nach Hause zurückkehrten. Eve gehörte zur Spezies der Mütter, Charlotte zur Spezies der Kinder. Folglich sah Eve nach Charlotte. Sie pflegte die Zimmertür leise zu öffnen. Sie zog die Bettdecke hoch, wenn Hochziehen nötig war. Sie hob die Plüschigelin, Mrs. Tiggy-Winkle, vom Boden auf und legte sie zu den anderen Igeln, die zu Charlottes Sammlung gehörten. Sie vergewisserte sich, daß Charlottes Wecker gestellt war. Dann ging sie wieder hinaus.
Niemals blieb sie stehen, um auf ihre Tochter hinunterzublicken und an frühere Zeiten zu denken, als sie noch ein Säugling gewesen war, als sie in den Kindergarten gekommen war, als sie mit der Schule begonnen hatte. Sie dachte nicht an das junge Mädchen, das Charlotte bald sein würde, nicht an die Frau, die sie einmal werden würde. Sie staunte nicht über die Veränderungen, die die Zeit bei ihrem Kind bewirkte. Sie dachte nicht über ihre gemeinsame Vergangenheit nach. Sie wob keine Phantasien über die Zukunft. Über ihre persönliche Zukunft, ja. Da tat sie weit mehr, als reine Luftschlösser zu bauen. Sie arbeitete daran, machte Pläne und Entwürfe, produzierte, manipulierte, konfrontierte, kämpfte, trat für das eine ein und verdammte das andere. Aber Charlottes Zukunft ... Sie sagte sich, Charlottes Zukunft läge in Charlottes Hand.
In der Dunkelheit ging sie durch das Zimmer. Am Kopfende des schmalen leeren Bettes lag Mrs. Tiggy-Winkle in einem Berg buntkarierter Kissen. Eve nahm das Plüschtier gedankenverloren zur Hand und strich mit den
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