08 - Im Angesicht des Feindes
dem Beifahrersitz lag die Umhängetasche einer Frau. Lynley hob sie auf. Er öffnete sie. Unter einer Puderdose, mehreren Lippenstiften, einer Haarbürste, einer Sonnenbrille und einem Scheckbuch fand er ein ledernes Portemonnaie. Es enthielt fünfundfünfzig Pfund, eine Visa-Karte und einen Führerschein, der auf »Fiona Howard Luxford« ausgestellt war.
Unruhe bemächtigte sich seiner. Sie bedrängte ihn wie das Summen eines Mückenschwarms, der zu dicht an seinen Ohren herumschwirrte. Er stieg gerade mit der Umhängetasche in der Hand aus dem Wagen, als Luxford die Auffahrt heraufgelaufen kam.
»Manchmal fahren sie nachmittags mit den Rädern auf die Heide«, erklärte er. »Meine Frau liebt die Fahrt zum Kenwood House, und Leo schaut sich die Bilder dort immer gern an. Ich dachte, sie hätten vielleicht eine kleine Tour gemacht, aber ihre Räder -« Er bemerkte die Tasche.
»Die Sachen waren im Wagen«, sagte Lynley. »Sehen Sie sie sich an. Sind das die Wagenschlüssel Ihrer Frau?«
Luxfords Gesicht sagte alles. Sobald er die Schlüssel sah, stützte er sich mit beiden Händen auf die Kühlerhaube des Wagens, blickte in den Garten hinaus und sagte: »Es ist etwas passiert.«
Lynley ging um den Mercedes herum zur anderen Seite. Der Vorderreifen war platt. Er ging in die Hocke, um ihn sich genauer anzusehen. Er ließ seine Finger über das Profil gleiten und folgte ihrer Bahn mit den Augen. Den ersten Nagel entdeckte er etwa auf Viertelhöhe des Reifens, dann nebeneinander zwei weitere Nägel, vielleicht fünfzehn Zentimeter über dem ersten.
»Ist Ihre Frau um diese Zeit normalerweise zu Hause?«
»Immer«, antwortete Luxford. »Sie möchte für Leo dasein, wenn er von der Schule kommt.«
»Und wann hat er gewöhnlich aus?«
Luxford hob den Kopf. Sein Gesicht war voller Angst. »Um halb vier.«
Lynley sah auf seine Taschenuhr. Es war nach sechs. Seine Unruhe wuchs, aber er sagte das Vernünftige: »Vielleicht sind sie zusammen weggegangen.«
»Aber sie hätte doch ihre Tasche nicht hiergelassen. Sie hätte die Wagenschlüssel nicht steckenlassen. Und sie hätte das Haus abgesperrt. Ganz bestimmt. Nein, es muß etwas passiert sein.«
»Es gibt sicher eine einfache Erklärung«, meinte Lynley. Was meistens der Fall war. Man machte sich Sorgen um einen Menschen, der spurlos verschwunden zu sein schien, während der irgendeiner ganz alltäglichen Tätigkeit nachging, an die man auch gedacht hätte, wenn man nicht gleich in Panik geraten wäre. Lynley überlegte, was für einer Tätigkeit Fiona Luxford vielleicht gerade nachging, und versuchte, Luxfords wachsender Angst mit kühler Vernunft zu begegnen. »Der Vorderreifen ist platt«, sagte er zu Luxford. »Sie hat irgendwo drei Nägel aufgelesen.«
»Drei gleich?«
»Vielleicht ist sie deshalb zu Fuß mit Ihrem Sohn weggegangen.«
»Da hat jemand absichtlich die Luft herausgelassen«, sagte Luxford. »Das ist kein Zufall. Glauben Sie mir doch endlich! Jemand hat absichtlich die Luft aus dem Reifen gelassen.«
»Nicht unbedingt. Wenn sie losfahren wollte, um Ihren Sohn von der Schule abzuholen, und gemerkt hat, daß der Reifen -«
»Das hat sie aber nicht getan.« Luxford drückte die Finger auf seine Augenlider. »Sie hat es nicht getan, verstehen Sie? Ich erlaube ihr nicht, Leo abzuholen.« »Wie bitte?«
»Ich erlaube ihr nicht, ihn abzuholen. Er soll zu Fuß gehen. Das tut ihm gut. Ich habe es ihr erklärt. Das härtet ihn ab. O Gott! Wo können sie nur sein?«
»Mr. Luxford, gehen wir doch erst mal hinein und sehen nach, ob sie eine Nachricht hinterlassen hat.«
Sie kehrten ins Haus zurück. Lynley ließ sich seine eigene Besorgnis nicht anmerken, sondern bat Luxford ruhig, an jedem möglichen Ort nachzusehen, an dem seine Frau eine Nachricht hinterlassen haben könnte. Er folgte ihm vom Fitneßraum im Untergeschoß zu einem Schreibtisch in einem Mansardenzimmer im zweiten Stockwerk. Sie fanden nichts.
»Hatte Ihr Sohn heute irgendwelche Termine?« fragte Lynley, als sie wieder nach unten gingen. Auf Luxfords Gesicht war ein feiner Schweißfilm. »Oder hatte Ihre Frau vielleicht einen Termin? Beim Arzt oder Zahnarzt? Vielleicht hat sie ihn mitgenommen und sie sind mit dem Taxi oder der U-Bahn gefahren. Oder mit dem Bus.«
»Ohne ihre Handtasche? Ohne Geld? Ohne ihre Schlüssel? Mein Gott, Inspector, das glauben Sie doch selbst nicht.«
»Wir sollten jede Möglichkeit in Erwägung ziehen.«
»Ja, und während wir hier jede verdammte
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