08 - Im Angesicht des Feindes
eine kaum verschleierte Aufforderung zum Handeln. Tatsächlich war mit ihr gemeint, was für ein Licht der Artikel in der Source letztlich auf den Premierminister werfen würde, der Eve Bowen doch höchstpersönlich zu ihrer derzeitigen politischen Machtstellung verholfen hatte. Tatsächlich war sie eine Weisung, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, sollte von diesem Bericht zu erwarten sein, daß er den Mann, der erst vor zwölf Tagen die Blamage hatte hinnehmen müssen, daß einer seiner Parteikollegen dabei ertappt worden war, wie er sich mit einem Strichjungen auf dem Rücksitz eines geparkten Autos vergnügt hatte, neuerlich öffentlichem Spott preisgeben würde. Die vom Premierminister propagierte Rückbesinnung auf die wahren britischen Grundwerte habe bereits einige schwere Schläge abbekommen, wurde Eve erklärt. Wenn Mrs. Bowen - die ja nicht nur Parlamentsabgeordnete war, sondern im Gegensatz zu Sinclair Larnsey auch noch Staatssekretärin - glaube, es bestünde auch nur die geringste Möglichkeit, daß der besagte Artikel in der Source den Premierminister von neuem in Verlegenheit bringen könne ... nun, Mrs. Bowen wisse zweifellos, welchen Weg sie dann einzuschlagen habe.
Natürlich wußte sie es. Sie sollte sich in ihr Schwert stürzen. Aber sie dachte nicht daran, dies ohne erbitterte Gegenwehr zu tun.
Am Morgen hatte sie sich mit dem Innenminister getroffen. Sie war noch bei Dunkelheit in Westminster angekommen, lange bevor die Source ausgeliefert wurde, Stunden vor ihrer normalen Ankunftszeit, und hatte so der Presse ein Schnippchen geschlagen. Sir Richard Hepton erwartete sie in seinem Büro. Er hatte offensichtlich einfach übergezogen, was ihm nach Eves Anruf um Viertel vor vier gerade in die Hände gefallen war. Sein weißes Hemd war zerknittert, die Hose gehörte zu einem Anzug, dessen Jackett fehlte. Statt dessen trug er eine Strickjacke. Er hatte keine Krawatte an und war unrasiert. Eve wußte, daß das seine Art war, sie wissen zu lassen, daß ihr Gespräch zwangsläufig kurz ausfallen würde. Er würde ja noch ausreichend Zeit brauchen, um nach Hause zurückzufahren, sich zu duschen und umzuziehen und auf den kommenden Tag vorzubereiten.
Es war ziemlich offensichtlich, daß er glaubte, ihr Anruf sei das Ergebnis zweier langer Tage der Trauer über den Tod ihrer Tochter. Er meinte, sie habe vor, tatkräftigeres Handeln von selten der Polizei zu fordern, und er war gekommen, um sie zu besänftigen, so gut er konnte. Von den Hintergründen der Entführung und Ermordung ihrer Tochter hatte er keine Ahnung. Trotz seiner langen Erfahrung in der Regierung, die ihn eigentlich das Gegenteil hätte lehren müssen, nahm er an, daß der Schein - zumindest in seinem Ressort - nicht trog.
Er sagte: »Nancy und ich haben die Todesanzeige bekommen, Eve. Selbstverständlich werden wir an der Beerdigung teilnehmen. Wie kommen Sie zurecht?« Sein Blick war wachsam, als er die letzte Frage stellte und dann hinzufügte: »Die nächsten Tage werden nicht leicht sein. Gönnen Sie sich denn genug Ruhe?«
Wie die meisten Politiker stellte Sir Richard Hepton Fragen, die in Wirklichkeit einem ganz anderen Thema galten. Was er jetzt wissen wollte, war, warum sie ihn mitten in der Nacht angerufen hatte, warum sie ihn unbedingt sofort hatte sprechen wollen und vor allem, warum sie plötzlich beunruhigende Ansätze zeigte, sich wie eine hysterische Person zu benehmen. So etwas konnte er in seiner Regierung überhaupt nicht gebrauchen. Er war bereit, ihr eine gewisse Freiheit zu gestatten, da sie ja einen furchtbaren Verlust erlitten hatte, aber er wollte auf keinen Fall, daß durch die Schwere dieses Verlusts ihre kühle und vernünftige Effizienz erschüttert wurde.
»Die Source bringt morgen einen Bericht«, sagte sie, »genauer gesagt, heute, und davon wollte ich Sie im voraus unterrichten.«
»Die Source?« Hepton sah sie an, ohne eine Miene zu verziehen. Er spielte besser politisches Poker als jeder andere, den Eve kannte. »Was ist das für ein Bericht, Eve?«
»Ein Bericht über mich, über meine Tochter. Ein Bericht darüber, vermute ich, was zu ihrem Tod geführt hat.«
»Ich verstehe.« Er schob seinen Ellbogen auf die Armlehne seines Sessels. Das Leder knarrte leise, und durch das feine Geräusch erschien die Stille im Haus und auf den Straßen noch tiefer. »Gab es denn ...« Er hielt inne und machte ein nachdenkliches Gesicht, offenbar damit beschäftigt, eine Auswahl unter mehreren Schlußfolgerungen
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