08 - Im Angesicht des Feindes
einen logischen Zusammenhang geben. Alles, was sie brauchten, war der klare Blick, der es ihnen ermöglichen würde, ein Muster zu erkennen. Letztendlich mußte alles, was sie in der Hand hatten, und alles, was sie wußten, zu einer Person führen. Zu der Person, die gewußt hatte, wer Charlotte Bowens leiblicher Vater war, die die Schlauheit besessen hatte, erfolgreich zwei Kinder zu entführen, und die Frechheit, dies am hellichten Tag zu tun.
Was also war das für ein Mensch? fragte sich Lynley. Es schien nur eine vernünftige Antwort auf diese Frage zu geben: Der Täter mußte jemand sein, der gewußt hatte, daß er, selbst wenn er mit den Kindern gesehen werden sollte, nicht unbedingt geschnappt werden würde.
Piranhas, dachte Eve Bowen. Anfangs hatte sie Hyänen gedacht, aber Hyänen waren von Natur aus Aasfresser, während Piranhas auf lebendiges - und vorzugsweise blutendes - Fleisch aus waren. Den ganzen Tag hatten die Reporter sie belagert, draußen vor ihrem Bezirksbüro und dem Innenministerium ebenso wie vor dem Parlament. Sie waren begleitet von ihren Kohorten - den Paparazzi und den Pressefotografen - und lungerten in Gruppen und Grüppchen auf dem Bürgersteig herum, wo sie Kaffee tranken, Zigaretten rauchten, Krapfen und Chips verdrückten und sich auf jeden stürzten, von dem sie glaubten, er könne ihnen etwas über Eve Bowens Schicksal, ihre Gemütsverfassung, ihre Reaktion auf die Enthüllungen Dennis Luxfords in der heutigen Source sagen. Sie feuerten Salven von Fragen ab und schossen mit ihren Fotoapparaten unzählige Bilder, und wehe dem Opfer ihrer Aufmerksamkeit, das versuchte, sein Gesicht zu schützen oder ihre Fragen mit einer scharfen Zurückweisung abzuwehren.
Eve hatte geglaubt, der vergangene Abend sei die Hölle gewesen. Aber jedesmal, wenn sich die Tür zu ihrem Bezirksbüro öffnete und das Stimmengewirr und das grelle Licht der Blitzlichter hereindrangen, wurde ihr von neuem klar: Die Stunden zwischen Dennis Luxfords Anruf und der Erkenntnis, daß sie nichts tun konnte, um die Veröffentlichung der Story zu verhindern, waren nur das Fegefeuer gewesen.
Sie hatte alles versucht. Sie hatte jede Schuld eingeklagt, stundenlang am Telefon gesessen und Richter, Anwälte und jeden politischen Verbündeten, den sie sich je gemacht hatte, angerufen. Jedes Telefonat hatte demselben Zweck gedient: die Veröffentlichung des Bekenntnisses in der Source, von dem Luxford behauptet hatte, es würde seinen Sohn retten, zu verhindern. Und jedes Gespräch hatte mit dem gleichen Resultat geendet: Es war nicht möglich, die Veröffentlichung der Story zu unterbinden.
Die ganze Nacht hindurch hatte sie Begründungen in allen Variationen dafür zu hören bekommen, warum eine gerichtliche Verfügung trotz aller Macht, die sie in der Regierung besaß, für sie nicht zu erwirken war.
Ob es sich bei dem fraglichen Zeitungsartikel - sie weigerte sich, ihrem jeweiligen Gesprächspartner nähere Details preiszugeben - tatsächlich um Verleumdung handle? Nein? Er schreibt also die Wahrheit? Tja, dann, meine Liebe, haben Sie leider gar keine Handhabe. Ja, natürlich, ich weiß, daß manche Dinge aus unserer Vergangenheit für unsere Gegenwart und unsere Zukunft manchmal peinlich sein können, aber wenn diese Dinge der Wahrheit entsprechen ... Tja, da kann man nur Haltung bewahren, den Kopf hoch tragen und das eigene gegenwärtige Handeln für sich sprechen lassen, nicht wahr?
Man kann ja nicht gerade behaupten, daß das ein Tory-Blatt ist, nicht wahr, Eve? Ich meine, wenn der Chefredakteur der Sunday Times oder der Daily Mail oder vielleicht auch des Telegraph die Absicht hätte, einen Artikel zu veröffentlichen, der eine Staatssekretärin ernsthaft in Mißkredit bringen könnte, dann hätte man eventuell den Premierminister bitten können, da mal kurz anzurufen und seinen Einfluß geltend zu machen. Aber die Source sei ja ausgesprochen links. Und man könne nun weiß Gott nicht erwarten, daß eine Labour-Zeitung mit ein bißchen verbalem Druck zu veranlassen sei, die Veröffentlichung einer Story zu unterlassen, die Stimmung gegen die Tories mache. Ganz im Gegenteil, sollte jemand versuchen, auf einen Mann wie Dennis Luxford Druck auszuüben, so würde das ganz zweifellos noch am selben Tag, an dem die fragliche Story herauskomme, in einem hämischen Leitartikel ausgeschlachtet werden. Und wie würde sich das ausnehmen? Was für ein Licht würde das auf den Premierminister werfen? Diese letzte Frage war
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