08 - Im Angesicht des Feindes
von einem Dolchstoß in den Rücken getroffen zu werden, hatte ihr die Fähigkeit geraubt, irgend jemandem zu glauben. Tief verwurzelter Argwohn - Fluch und Notwendigkeit eines Lebens in der Politik - hatte sie in ihre gegenwärtige Lage getrieben und sie nicht nur um ihre Stellung gebracht, sondern auch auf grausamste Weise ihr Kind um sein Leben. Lynley sah klar, daß ebendieses Mißtrauen und die Feindseligkeit, die sie dem Mann entgegenbrachte, der sie geschwängert hatte, sie daran hinderte, den Sprung ins Vertrauen zu wagen, der es ihr ermöglichen würde, ihnen zu helfen.
Aber damit konnte er sich nicht abfinden. Er sagte: »Mrs. Bowen, der Entführer hat sich heute gemeldet. Er hat gedroht, den Jungen zu töten, wenn Mr. Luxford die Fehler, die sein Artikel angeblich enthält, nicht korrigiert. Sie brauchen Mr. Luxfords Worten nicht zu glauben. Aber ich bitte Sie jetzt, meinem Wort zu glauben. Ich habe die Aufzeichnung des Telefongesprächs gehört. Sie wurde von einem meiner Kollegen gemacht, der sich im Haus befand, als der Anruf kam.«
»Das hat überhaupt nichts zu bedeuten«, sagte Eve Bowen. Aber ihr Ton war jetzt nicht mehr so sicher wie bei ihren früheren Ausführungen.
»Nein. Da haben Sie recht. Es gibt Dutzende von Möglichkeiten, einen Anruf vorzutäuschen. Aber nehmen wir für den Moment einmal an, daß der Anruf echt war - möchten Sie den Tod eines zweiten Kindes auf der Seele haben?«
»Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich habe getan, was ich tun mußte. Ich habe richtig gehandelt. Mich trifft keine Schuld. Er -« Sie hob die Hand und wies auf Luxford. Zum erstenmal zitterte die Hand leicht. Sie schien es zu bemerken und senkte sie hastig zu ihrem Schoß, auf dem die Zeitung lag.
»Er ... nicht ich ...« Sie schluckte, starrte ins Leere und sagte schließlich noch einmal: »Nicht ich.«
Lynley wartete. Luxford, der immer noch am Fenster stand, drehte sich um. Er wollte etwas sagen, aber Lynley warf ihm einen Blick zu und schüttelte den Kopf. Von draußen konnte er das Läuten der Telefone und Dorothea Harrimans Stimme hören. Doch hier drinnen war es grabesstill, und mit angehaltenem Atem dachte er, nun komm schon, komm endlich. Verdammt noch mal, komm schon, Weib.
Sie knüllte die Ränder der Zeitung zusammen. Sie schob ihre Brille fester auf die Nase. Und dann begann sie zu lesen.
Das Telefon läutete. Lynley hob hastig ab. Sir David Hilliers Sekretärin meldete sich. Wann der Assistant Commissioner von seinem Untergebenen den fälligen Bericht über den neuesten Stand der Untersuchung erwarten könne. Wenn er geschrieben ist, antwortete Lynley und knallte den Hörer auf.
Eve Bowen blätterte zur Fortsetzung des Artikels auf der zweiten Seite um. Luxford blieb, wo er war. Als sie fertig gelesen hatte, verharrte sie einen Moment reglos, die Hand auf der Zeitung, den Kopf gerade so weit erhoben, daß ihr Blick auf der Kante von Lynleys Schreibtisch ruhte.
»Er hat gesagt, ich hätte es falsch gemacht«, erklärte Luxford leise. »Er hat gesagt, ich müßte es bis morgen richtigstellen, sonst würde er Leo töten. Aber ich weiß nicht, was ich ändern soll.«
»Du hast nichts falsch gemacht.« Auch jetzt sah sie ihn nicht an, und ihre Stimme war gedämpft.
»Hat er etwas ausgelassen?« fragte Lynley.
Sie strich glättend über das Blatt. »Zimmer siebenhundertzehn«, sagte sie. »Gelbe Tapeten. An der Wand über dem Bett ein Aquarell von Mykonos. Eine Minibar mit sehr schlechtem Champagner. Darum haben wir etwas von dem Whisky und den ganzen Gin getrunken.« Sie räusperte sich. Noch immer haftete ihr Blick an der Schreibtischkante. »Zweimal haben wir uns spätabends zum Essen getroffen. Einmal waren wir in einem Restaurant namens La Chateau. Das andere Mal bei einem Italiener. San Filippo. Da war ein Geiger, der so lange an unserem Tisch gespielt hat, bis du ihm fünf Pfund gegeben hast.«
Luxford schien nicht fähig, den Blick von ihr zu wenden. Es war quälend, ihn anzusehen.
Sie fuhr fort: »Wir haben uns immer lange vor dem Frühstück getrennt. Aus Vorsicht. Aber am letzten Morgen haben wir das nicht getan. Es war vorbei, aber wir wollten den Moment der Trennung hinausschieben. Wir haben uns das Frühstück aufs Zimmer bestellt. Es kam spät. Es war kalt. Du hast die Rose aus der Vase genommen und ... « Sie nahm ihre Brille ab und klappte sie zusammen.
»Evelyn, es tut mir leid«, sagte Luxford.
Sie hob den Kopf. »Was tut dir leid?«
»Du hast damals gesagt, du
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