08 - Im Angesicht des Feindes
genau dahin, wo du sie haben wolltest, und es bereitete den Weg für Schachzug Nummer fünf.«
»Und der wäre?« fragte Luxford.
»Das Verschwinden deines Sohnes und die sich daraus ergebende unausweichliche Notwendigkeit, mich zu vernichten.« Jetzt endlich sah sie ihn an. »Sag mir eins, Dennis: Wie steht es um die Auflage deiner Zeitung? Hast du es endlich geschafft, die Sun zu übertrumpfen?«
Luxford wandte sich ab von ihr. »Mein Gott«, sagte er nur.
Lynley setzte sich hinter seinen Schreibtisch und musterte die beiden, die ihm gegenübersaßen. Luxford hockte zusammengesunken in seinem Sessel, unrasiert, das Haar ungepflegt, mörtelgrau im Gesicht. Eve Bowen verharrte in ihrer unnachgiebigen Haltung, ihre Züge so starr wie eine Maske, die auf ihr Gesicht aufgemalt war. Lynley fragte sich, was es kosten würde, ihre Hilfe zu gewinnen.
»Mrs. Bowen«, begann er ruhig, »ein Kind ist bereits tot. Ein zweites wird vielleicht sterben, wenn wir nicht sehr schnell handeln.« Er ergriff die Ausgabe der Source, die er aus Luxfords Haus mitgenommen hatte, und legte sie so auf den Schreibtisch, daß die Schlagzeile und Luxfords Bild den beiden direkt ins Gesicht starrten. Eve Bowen warf nur einen angewiderten Blick auf das Blatt und sah weg.
»Das ist es, worüber wir sprechen müssen«, sagte Lynley zu ihr. »Dieser Bericht enthält entweder einen Fehler, oder aber es fehlt etwas. Wir müssen wissen, was es ist. Und um das herauszubekommen, brauchen wir Ihre Hilfe.«
»Wieso? Braucht Mr. Luxford für morgen einen neuen Aufmacher? Kann er sich den nicht selbst zurechtschneidern? Bis jetzt ist ihm das doch sehr gut gelungen.«
»Haben Sie den Artikel gelesen?«
»Mir liegt nichts daran, mich im Dreck zu suhlen.«
»Dann bitte ich Sie, ihn jetzt zu lesen.«
»Und wenn ich ablehne?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie, die Sie gerade Ihre Tochter verloren haben, den Tod eines achtjährigen Jungen auf dem Gewissen haben möchten, wenn Sie etwas tun können, um ihn zu verhindern. Aber dazu wird es kommen, der Junge wird sterben - machen Sie sich da nichts vor -, wenn wir nicht jetzt etwas unternehmen, um es zu verhindern. Bitte lesen Sie den Bericht.«
»Ich lasse mich doch von Ihnen nicht für dumm verkaufen! Mr. Luxford hat erreicht, was er wollte. Er hat seine Schlagzeile. Er hat mich ruiniert. Er kann das bißchen, was von mir übriggeblieben ist, noch tagelang weiter auseinandernehmen und neue Storys daraus fabrizieren, und ich zweifle keinen Moment daran, daß er das auch tun wird. Aber eins wird er gewiß nicht tun - seinen eigenen Sohn ermorden.«
Luxford sprang auf und packte die Zeitung. »Lies es!« fuhr er sie an. »Lies den gottverdammten Artikel. Glaub meinetwegen, was du willst, denk, was du willst, aber lies jetzt endlich den Artikel oder ich werde -«
»Was wirst du?« fragte sie. »Auf den Rufmord einen echten Mord folgen lassen? Bist du dazu überhaupt fähig? Könntest du mit dem Messer zustoßen? Könntest du abdrücken? Oder würdest du den Job wieder von einem deiner Handlanger erledigen lassen?«
Luxford schleuderte ihr die Zeitung auf den Schoß. »Du machst dir die Realität wirklich zurecht, wie du sie brauchst. Ich habe es restlos satt zu versuchen, dir die Wahrheit vor Augen zu halten. Lies den Artikel, Evelyn. Du wolltest nichts unternehmen, um unsere Tochter zu retten, und ich besitze nicht die Macht, daran etwas zu ändern. Aber wenn -«
»Wie kannst du es wagen, von ihr als unserer Tochter zu sprechen! Wie kannst du es wagen, auch nur anzudeuten -«
»Aber wenn ...« Luxfords Stimme wurde lauter. »Aber wenn du glaubst, ich werde hier tatenlos herumsitzen und darauf warten, daß mein Sohn das nächste Opfer eines Psychopathen wird, dann hast du dich gründlich in mir getäuscht. Also - lies jetzt den verdammten Artikel. Lies ihn sofort und lies ihn genau, und sag mir dann, wo ich etwas falsch gemacht habe, damit ich Leo retten kann. Denn wenn Leo stirbt ...«
Luxford versagte plötzlich die Stimme. Er stand auf und ging zum Fenster. Das Gesicht dem Glas zugewandt, sagte er: »Du hast Grund genug, mich zu hassen. Aber räche dich nicht an meinem Sohn.«
Eve Bowen beobachtete ihn etwa auf die gleiche Art, wie ein Wissenschaftler ein Versuchstier beobachtet, dessen Verhalten ihm irgendwelche praktischen Erkenntnisse liefern soll. Eine Karriere, die sie gelehrt hatte, jedem zu mißtrauen, alles mit sich selbst auszumachen und immer die Augen offenzuhalten, um nicht
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