08 - Old Surehand II
Texas, von dem damals so viel erzählt wurde, daß einem die Ohren ordentlich klangen.
Freilich gab es dabei mancherlei Schwierigkeiten, denn die Gegend, durch welche ich den Pfad nehmen mußte, war ganz verteufelt unsicher. Die Creeks, Seminolen, Choctaws und Komantschen lagen einander in den Haaren, bekämpften sich bis auf die Messerspitzen und behandelten dabei jeden Weißen als gemeinschaftlichen Feind. Es galt also, die Augen und Ohren offen zu halten. Mein Weg führte mich mitten durch das Kampfgebiet, und ich war ganz allein, also nur auf meine eigene Vorsicht und Ausdauer angewiesen. Sogar ein Pferd mangelte mir; die Companymänner hatten es mir abgeschachert, und ich war darum gezwungen, auf meinen alten Mokassins zu reiten. So hielt ich ungefähr immer auf Smoky-Hill zu und konnte nach meiner Berechnung nicht mehr weit vom Arkansas sein. Ich traf immer mehr Wasserläufe, die sich nach ihm hinzogen, und stieß auf allerlei Getier, welches nur an den Ufern großer Flüsse zu finden ist.
So schritt ich durch den Wald und stieß ganz unerwartet auf die Spur menschlicher Fußtritte. Sie rührten von einem Weißen her, denn die Zehenteile der Fußstapfen standen auswärts und nicht, wie es bei einem Indianer der Fall gewesen wäre, einwärts. Ich folgte den Spuren mit der größten Vorsicht und blieb nach einer Weile verwundert stehen. Eine laute menschliche Stimmen ertönte, und ich vernahm aus den Worten, daß eine zahlreiche Zuhörerschaft vorhanden sein müsse.
„So ist vorhin von dem Prokurator gesagt worden, Gentlemen und Ladies, die ihr vor dem Richterhof versammelt seid, um zu sehen und zu hören, in welcher Weise sich ein Mann, der des Mordes beschuldigt wird, auf der Anklagebank benimmt. Jetzt nun komme endlich auch ich, der Verteidiger dieses Mannes, an die Reihe und werde euch beweisen, daß er vollständig unschuldig ist. Denn das muß ich euch sagen, ich heiße Abraham Lincoln, und der ehrenwerte Sir, dem dieser Name gehört, nimmt nur dann das Mandat eines Klienten an, wenn er die Überzeugung gewonnen hat, daß damit nicht die Verteidigung eines Schurken verbunden ist. – – –“
„Lincoln, Abraham Lincoln?“ dachte ich. „Da brauche ich nicht zu zögern. Vorwärts, hin zu den Gent's und Ladies, mit denen er spricht!“
Ich schritt rasch vorwärts. Wahrhaftig, da glänzte mir die helle Fläche des Stromes zwischen die Bäume hindurch entgegen, und auf dem Wasser bemerkte ich die erste Stammlage eines angefangenen Floßes. Darauf stand Lincoln, nicht mit Gentlemen und Ladies, sondern allein, ganz allein, hielt ein aufgeschlagenes Buch in der Linken und focht zur Begleitung seiner Rede mit der Rechten in der Luft herum, als wolle er die Schnaken und Libellen fangen, die über den Wogen spielten.
Er bemerkte mich, als ich an das Ufer trat, ließ sich aber nicht im mindesten stören.
„Good day, Master Lincoln! Darf ich ein wenig hinüber zu Euch?“
„Wer ist das? By good, das ist Master Kroner, der sich um seine Braut geschossen hat! Bleibt noch zwei Minuten am Land, damit ich meine Rede erst vollenden kann! Es kommt sehr viel darauf an, daß ich sie fertig bringe, denn ich habe einen Unschuldigen zu retten, der einen Mord begangen haben soll!“
„So macht fort! Ich werde mich bis dahin hier niedersetzen.“
Ich kann euch sagen, Mesch'schurs, die Rede, welche er tat, war ausgezeichnet, und hätte die Sache auf Wirklichkeit beruht, so wäre der Mann ganz sicher freigesprochen worden. Der ganze Vorgang kam mir keineswegs lächerlich vor, denn ich mußte ja bemerken, daß Lincoln sich hier in der Wildnis auf das Amt eines Lawyer vorbereitete. Als er fertig war, sprang ich zu ihm hinüber. Er streckte mir die Hand entgegen.
„Welcome, Master Kroner! Wie kommt Ihr hierher zum alten Kansas?“
„Ich war einige Zeit lang droben in Colorado und den Spanish Peaks, habe eine gute Biberernte gehalten und will nun hinunter zum Mississippi, um ein wenig nach Texas zu gehen.“
„Ja, warum geht Ihr denn eigentlich nach dem Westen und bleibt nicht daheim auf Eurer Farm, wo es mir damals trotz der beiden Toten für mehrere Tage so wohl behagte?“
Ich erzählte ihm das Nötige. Er schüttelte mir darauf noch einmal die Hand.
„So ist's recht! Das Herzeleid ist ein schlimmer Gesell, und man darf sich nicht mit ihm an einen Ort fesseln und zusammenbinden lassen, sondern man schafft es hinaus in das Weite, wirft es hin und kehrt dann als freier Mann zurück. Ich bin noch immer, was
Weitere Kostenlose Bücher