08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
den Knien suchte. »Mahlzeiten gibt es heute nicht. Mehr kann ich nicht bieten. Der Sturm wird erst heute abend nachlassen.«
»Mit Mäuseherr ist irgend etwas nicht in Ordnung«, erklärte Fidelma. »Er läßt mich nicht an sich heran.«
Wenbrit stellte seinen Eimer ab und kniete sich neben ihr hin. Dann zeigte er auf ihre Kutte.
»Du hast da Blut auf deiner Kutte, Lady.«
Fidelma befühlte die klebrige Masse auf ihrer Brust.
»Ich sehe keine Kratzer«, meinte Wenbrit. »Wenn Mäuseherr dich gekratzt hätte …«
»Kannst du den Kater unter der Koje hervorholen? Ich glaube, er ist verletzt«, unterbrach sie ihn. Sie merkte, daß das Blut nicht von den Stellen kommen konnte, an denen sich der Kater nachts in seiner Angst festgekrallt hatte.
Wenbrit brauchte einige Zeit, bis er den Kater schließlich zu greifen vermochte. Er hielt ihm die Vorderbeine zusammen, damit er nicht kratzen konnte. Mit sanften, beruhigenden Lauten holte er Mäuseherr endlich unter der Koje hervor und legte ihn auf das Bettzeug. Offenbar hatte das Tier Schmerzen.
»Er hat einen Schnitt.« Der Junge wunderte sich, als er den Kater untersuchte. »Einen tiefen Schnitt sogar. Seine Hinterhand blutet noch. Was ist denn passiert?«
Mäuseherr beruhigte sich, als er merkte, daß man ihm nichts Böses antun wollte.
»Ich weiß es nicht … ach so!«
Noch während sie sprach, wurde Fidelma klar, was die Schmerzen in der Nacht bedeutet hatten, von denen sie geweckt wurde. Sie beugte sich über den Strohsack und fand sofort, was sie suchte. Es war das Messer, das Schwester Crella ihr gegeben und von dem sie behauptet hatte, Bruder Guss hätte es unter ihrer Koje versteckt. Es war blutverschmiert, mit Mäuseherrs Blut. Fidelma schimpfte sich einen Trottel. Sie hatte das Messer aus Crellas Kajüte mitgebracht und in ihren Beutel getan, und noch vor Toca Nias Tod war es daraus verschwunden.
Wenbrit war mit der Untersuchung des Katers fertig.
»Ich muß Mäuseherr mit nach unten nehmen, damit ich ihn waschen und die Wunde nähen kann. Ich glaube, jemand hat ihn in die Hinterhand gestochen. Armer Kater. Er hat versucht, die Wunde zu lecken.«
Fidelma sah Mäuseherr mitfühlend an. Wenbrit schmuste mit dem Kater, der sich von ihm unterm Kinn streicheln ließ. Er fing an, leise zu schnurren.
»Wie kam es dazu, Lady?« fragte Wenbrit erneut.
»Ich glaube, Mäuseherr hat mir das Leben gerettet«, erklärte sie ihm. »Ich schlief, und er lag zusammengerollt auf meiner Brust. Jemand kam an meine Kajütentür. Vielleicht sprang Mäuseherr auf, als der Mörder eintrat. Den Kater hat er offensichtlich nicht gesehen. Ich hatte Glück, denn er kam nicht nahe genug heran, um mich zu erstechen. Er warf das Messer. Ob der Kater es abgelenkt hat, weiß ich nicht, aber das arme Tier bekam es in die Flanke. Die Reaktion des Katers weckte mich und verscheuchte den Angreifer.«
»Hast du die Person erkannt?« fragte Wenbrit.
»Leider nicht. Dazu war es zu dunkel.« Fidelma erschauerte, als ihr bewußt wurde, wie nahe sie zum zweitenmal dem Tode gewesen war. Dann riß sie sich zusammen.
»Kümmere dich um Mäuseherr, Wenbrit. Tu dein Bestes. Er hat mir das Leben gerettet. Nicht mehr lange, dann werden wir mehr wissen. So Gott will, wird dieser Sturm bald nachlassen. Solange er tobt, kann ich mich nicht konzentrieren.«
Aber Gott wollte es nicht, der Sturm hielt noch einen vollen Tag an. Der ständige Lärm und das Schaukeln stumpften Fidelmas Sinne ab, ihr Schicksal wurde ihr beinahe gleichgültig. Sie wollte einfach nur schlafen, von dem unbarmherzigen Wüten des Wetters erlöst werden. Ab und zu legte sich das Schiff so weit über, daß Fidelma sich fragte, ob es sich überhaupt noch einmal aufrichten würde. Dann, nach einer scheinbaren Ewigkeit, wälzte sich die »Ringelgans« wieder herum, bis die nächste riesige Welle aus der Dunkelheit heranbrauste.
Manchmal meinte Fidelma, das Schiff müsse untergehen, so tief schien es im Seewasser versunken. Sie mußte um Atem ringen gegen das lungenzerreißende Salzwasser, das sie durchnäßte. Von dem ständigen Umherwerfen des Schiffes wurde ihr Körper grün und blau geschlagen.
Es war in der Morgendämmerung des nächsten Tages, als sie trübsinnig feststellte, daß der Wind weniger scharf zu wehen schien und das Schiff nicht mehr so heftig bockte. Sie verließ die Kajüte und schaute sich um. Am grauen Morgenhimmel jagten einzelne zerfetzte Sturmwolken niedrig dahin unter einer hohen Decke dünner weißer
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