08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
und sich zu ihrer Koje zurückhangelte, erscholl der laute Ruf: »Alle Mann! Alle Mann! «
Es war ein angsterregender Ruf. Panik ergriff sie, sie stürzte zur Kajütentür und riß sie auf.
Draußen stand ein dunkler Schatten, wohl aus der gegenüberliegenden Kajüte gekommen. Sie erkannte ihn nicht, aber eine Stimme mit fremdem Akzent schrie sie an, um den Sturm zu übertönen.
»Zurück, Lady! Du bist in der Kajüte sicherer.«
Widerwillig schloß sie die Tür und ging zu ihrer Koje zurück, auf der sie sich lieber ausstreckte als zu sitzen. Der Sturm dauerte an. Sie wußte nicht, wie lange sie so dalag. Auf seltsame Weise wirkte der wütende Sturm einschläfernd. Sie hatte nichts zu tun als zu denken. Das ständige Schlingern, der Anprall der Wogen, das Heulen des Windes vereinigten sich nach einer Weile zu einem einzigen Geräusch, und Fidelma wurde allmählich davon hypnotisiert. Ihre trägen Gedanken wanderte wieder zu Cian. Und während sie an Cian dachte, schlich sich der Schlaf heran und überwältigte sie, ehe sie es merkte.
K APITEL 7
Fidelma war aufgestanden, hatte sich gewaschen und angezogen und machte sich gerade das Haar, als an die Kajütentür geklopft wurde.
Es war Gurvan, der bretonische Steuermann.
»Ich bitte um Entschuldigung, Lady.« Mit einem stillen Seufzer registrierte Fidelma die Anrede. Zweifellos hatte es sich auf dem ganzen Schiff herumgesprochen, daß ihr Bruder der König von Muman war. Gurvan fiel ihre ärgerliche Miene nicht auf, und er fuhr fort: »Ich wollte nur sehen, ob du dich von dem Sturm erholt hast oder ob es Probleme gibt.«
»Vielen Dank, mir geht es gut«, erklärte Fidelma. Dann zögerte sie. Sie erinnerte sich dunkel, daß sie beim Abebben des Sturms gegen Morgen kurz gestört worden war. Sie hatte den Eindruck, jemand habe die Tür ihrer Kajüte geöffnet, hereingeschaut und sie wieder geschlossen. Sie war so müde gewesen, daß sie die Augen nicht auf bekam und sofort weiterschlief. »Hast du schon einmal versucht, mich zu wecken?«
»Ich nicht, Lady«, versicherte ihr der Steuermann. »Die anderen werden bald frühstücken, falls du dich ihnen anschließen willst.« Er wollte schon gehen, wandte sich aber noch einmal um. »Ich hoffe, ich war nicht unhöflich, als ich dich während des Sturms in deine Kajüte zurückschickte.«
Also war es Gurvan gewesen, der vor ihrer Tür stand, als sie in plötzlicher Panik aufs Deck wollte.
»Überhaupt nicht. Ich wäre auch nicht aufs Deck gegangen, aber ich war beunruhigt.«
Gurvan lächelte scheu und grüßte.
»Das Frühstück wird gleich serviert, Lady«, wiederholte er.
Fidelma merkte, daß sie wohl etwas verschlafen hatte.
»Sehr gut. Ich komme gleich.«
Der Steuermann ging in seine Kajüte gegenüber und schloß die Tür hinter sich.
Als sie ihre Kajüte verließ, war sie verblüfft von dem Anblick, der sich ihr bot. Es war, als wären sie in eine Wolke geraten, denn dichter Nebel hüllte die »Ringelgans« ein. Fidelma konnte kaum die Mastspitze erkennen, geschweige denn das Heck des Schiffes. So etwas war ihr schon manchmal hoch in den Bergen begegnet, da bildete sich des öfteren plötzlich ein solcher Nebel. Dann war es besser, stehenzubleiben und zu warten, bis er sich lichtete, wenn man nicht einen sicheren Pfad nach unten kannte.
Es herrschte eine seltsame, widerhallende Stille. Leise klatschten die Wellen an alle Seiten des Schiffes. Der Nebel wirbelte und strudelte wie Rauch, löste sich aber nicht auf, und das fand Fidelma eigenartig. Sie spürte den unwiderstehlichen Drang, den Nebel wegzublasen, denn er bewegte sich leicht, wenn sie mit der Hand wedelte.
Plötzlich trat Gurvan wieder aus seiner Kajüte.
»Das ist Seenebel«, erklärte er unnötigerweise. »Er hat sich im Gefolge des Sturms gebildet. Ich glaube, er hat was mit der Wärme der See und der Kälte des Sturms zu tun. Man braucht sich nicht davor zu fürchten.«
»Ich habe keine Angst«, versicherte ihm Fidelma. »Ich habe solchen Nebel schon erlebt. Er kommt nur unerwartet nach dem Sturm letzte Nacht.«
»Die Sonne vertreibt ihn, sobald sie höher steigt und den Himmel erwärmt.«
Er wandte sich ab und sprach mit einigen Matrosen, die in dem Nebel kaum zu erkennen waren. Sie saßen mit gekreuzten Beinen auf dem Deck und nähten anscheinend an einem Stück Segelleinwand.
Fidelma schritt über das diesige Deck zum Heck des Schiffes. Nach dem Sturm der vorigen Nacht spürte sie überrascht auf ihren Wangen den leisen
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