08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
Luftzug, der das Großsegel leicht klatschen ließ wie Vogelschwingen in der hallenden Stille. Das Schiff lag ruhig, und das bedeutete, daß die See unter dieser Nebeldecke still und glatt war. Sie sah keine Anzeichen von Sturmschäden, alles schien in bester Ordnung.
Da sie kaum einen Schritt weit sehen konnte und zu schnell ging, prallte Fidelma gegen eine Gestalt, die in eine Kutte gehüllt war und die Kapuze über den Kopf gezogen hatte. Die Gestalt knurrte etwas, als Fidelma mit ihr zusammenstieß.
»Tut mir sehr leid, Schwester«, entschuldigte sich Fidelma, die sie für eine der Nonnen hielt. Irgendwie kam sie ihr bekannt vor.
Zu ihrer Überraschung hielt die Gestalt das Gesicht abgewendet, murmelte etwas Unverständliches und verschwand eilig im Nebel. Verblüfft über solche Unhöflichkeit starrte Fidelma ihr nach und fragte sich, wer das wohl sei, der nicht einmal einen freundlichen Gruß beantwortete.
Dann tauchte Kapitän Murchad selbst vor ihr auf. Er kam die Treppe vom Achterdeck zum Hauptdeck herunter. Als er sie erkannte, hob er die Hand zum Gruß.
»Ein merkwürdiger Morgen, Lady«, sagte er und trat zu ihr. Ihm war seine Verärgerung anzumerken. »Hast du so etwas schon mal gesehen?«
»Manchmal oben in den Bergen«, nickte sie.
»Ach so, da«, pflichtete ihr Murchad bei. »Es sollte aber bald aufklaren. Wenn die Sonne steigt, vertreibt sie den Nebel.« Er machte keine Anstalten, unter Deck zu gehen. »Wie ist es dir bei dem Sturm ergangen?« fragte er plötzlich.
»Am Ende bin ich eingeschlafen, einfach aus Erschöpfung.«
Murchad stieß einen langen Seufzer aus.
»Es war ein schlimmer Sturm. Er hat mich mindestens einen halben Tag von meinem Kurs abgetrieben. Wir wurden nach Südost gedrückt, viel weiter nach Osten, als ich wollte.« Er schien in Gedanken und alles andere als glücklich.
»Ist das ein Problem?« erkundigte sich Fidelma. »Wegen einem Tag länger auf See macht sich doch sicher niemand Sorgen.«
»Das ist es nicht …« Er zögerte.
Fidelma war verwundert über sein Zaudern und seine Unlust, zu den anderen unter Deck zu gehen.
»Was ist denn los, Murchad?« drang sie in ihn.
»Ich fürchte … Wir haben einen Passagier verloren.«
Fidelma starrte ihn verständnislos an. »Einen Passagier verloren? Du meinst einen der Pilger? Wie denn verloren?«
»Über Bord«, antwortete er lakonisch.
Fidelma war entsetzt.
Nach einer Pause fügte Murchad hinzu: »Du hast recht daran getan, während des Sturms in deiner Kajüte zu bleiben, Lady. Passagiere haben kein Recht, an Deck zu kommen, wenn eine solche See geht. Ich muß das zur strengen Regel machen. Ich hab sonst noch nie jemanden über Bord verloren.«
»Wer war es denn?« fragte Fidelma atemlos. »Wie ist es passiert?«
Murchad hob die Schultern und ließ sie mit einer ausdrucksvollen Geste der Ahnungslosigkeit sinken.
»Wie? Das weiß ich nicht. Keiner hat was gesehen.«
»Woher weißt du dann, daß jemand über Bord gegangen ist?«
»Bruder Cian meinte das.«
Fidelma zog die Brauen zusammen.
»Was hat der denn damit zu tun?«
»Er kam kurz nach Tagesanbruch zu mir. Anscheinend ist er der Meinung, er müßte sich um alle Pilger hier an Bord kümmern – für sie alle sprechen.«
Fidelma schnaubte verächtlich.
»Ich kann dir versichern, daß er kein Recht hat, für mich zu sprechen«, sagte sie spitz.
Murchad ging nicht darauf ein. Er fuhr fort: »Nach dem Sturm machte er sich daran, überall nachzusehen, ob alle heil und gesund seien. Er ging auch zu deiner Kajüte.«
»Bei mir hat er nicht nachgeprüft.«
»Entschuldige, Lady«, widersprach Murchad. »Er sagte, er habe in deine Kajüte geschaut und festgestellt, daß du noch schliefst.«
Davon war sie also wach geworden! Das leise Geräusch, als sich die Tür schloß. Ausgerechnet Cian war in ihre Kajüte gekommen und hatte sie angesehen, als sie schlief. Sie fühlte sich verletzt.
»Sprich weiter.« In Zukunft würde sie dafür sorgen, daß Cian nicht so leicht in ihre Kajüte gelangte.
»Nun, er fand heraus, daß jemand aus der Gruppe verschwunden war. Die Kajüte war leer. Als er zu mir kam und mir seine Befürchtung mitteilte, befahl ich Gurvan, das Schiff gründlich zu durchsuchen. Er fand nichts. Jetzt habe ich ihn losgeschickt, damit er noch einmal nachsucht.«
Das erklärte also Gurvans eigenartigen Besuch in ihrer Kajüte vorhin. Als hätten ihn ihre Reden herbeigezaubert, kam er das Deck entlang.
Murchad schaute ihm erwartungsvoll
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