08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
gekommen, Bruder Tola, um mit dir zu reden, nicht aber, um über unsere verschiedenen theologischen Meinungen zu debattieren.«
Ihr Ton war scharf geworden. Trotzdem fühlte sie sich unsicher, denn sie wußte, daß Tola ihre Schwäche erkannt hatte: ihren Stolz darauf, daß sie eine dálaigh war und nicht einfach nur eine Nonne.
»Ich höre, Schwester Fidelma«, antwortete er. Sein Gesicht blieb ernst, doch Fidelma hatte den Verdacht, er lache im stillen über ihre Verlegenheit. Dann rezitierte er leise:
»… achte nicht gering die Züchtigung des Herrn
Und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst.
Denn welchen der Herr lieb hat, den züchtigt er;
Und er stäupt einen jeglichen Sohn und eine jegliche
Tochter, die er aufnimmt.«
Fidelma unterdrückte ihren Ärger.
»Hebräer zwölf«, stellte sie mit einem dünnen Lächeln fest, um ihm zu zeigen, daß er ihr mit seiner Bibelkenntnis nicht imponieren konnte. »Aber jetzt habe ich ein paar Fragen, die ich dir im Auftrag von Kapitän Murchad stellen muß.«
»Ich weiß schon, wie ich bereits sagte. Schwester Ainder hat mir von deinen Nachforschungen berichtet.«
»Gut. Du bist älter als die meisten Mitglieder der Gruppe, Bruder. Was hat dich veranlaßt, auf diese Pilgerfahrt zu gehen?«
»Muß ich darauf antworten?«
»Ich kann dich nicht dazu zwingen.«
»So meinte ich das nicht. Ich meinte, das sei offenkundig.«
»Ich verstehe dich so, daß du diese Pilgerfahrt aus religiöser Überzeugung unternommen hast? Das ist sicherlich offenkundig. Aber warum hast du dich gerade Schwester Canairs Gruppe angeschlossen? Mit Ausnahme von Schwester Ainder sind alle ganz jung. Und deiner Ansicht nach geht es deinen Mitreisenden nicht wirklich um die Religion.«
»Schwester Canairs Gruppe war die einzige, die zum Schrein des heiligen Jakobus wollte. Wäre ich nicht mit ihnen gereist, hätte ich mindestens ein Jahr auf die nächste Gruppe warten müssen. Es gab noch Platz für mich, also schloß ich mich ihnen an.«
»Kanntest du Schwester Canair und die anderen, bevor du zu ihnen kamst?«
»Ich kannte niemanden außer denen aus meiner eigenen Abtei Bangor.«
»Nämlich die Brüder Cian, Dathal und Adamrae?«
»Genau.«
»Du hast angedeutet, daß du die Gruppe für schlecht zusammengestellt hältst.«
»Sicherlich.«
»Schließt dieses Urteil auch Schwester Muirgel ein?«
Bruder Tola riß die Augen weit auf und verzog das Gesicht wie im Krampf.
»Eine höchst abscheuliche junge Frau! Sie mochte ich am wenigsten von allen!«
Die Heftigkeit seiner Äußerung überraschte Fidelma.
»Warum das?«
»Ich weiß noch, wie sie gleich anfangs versuchte, unsere Reisegesellschaft zu beherrschen mit der Begründung, ihr Vater sei Fürst der Dál Fiatach gewesen. Mit dem Fürsten war nicht viel Staat zu machen – er war ein übler Halunke, der nur auf Macht und Selbstverherrlichung aus war. Schwester Muirgel kam nach ihrem Vater.«
»Wenn du dieser Meinung warst, hast du da nicht gezögert, dich Schwester Canairs Gruppe anzuschließen?«
»Ich erfuhr erst beim Aufbruch, daß Schwester Muirgel der Gruppe angehörte. Ich glaubte, ich könnte auf der Fahrt eine enge Berührung mit ihr vermeiden.«
»Kanntest du sie persönlich oder nur als Tochter eines Fürsten, den du verabscheutest?«
»Ich kannte sie aus den Geschichten, die in unserer Abtei über sie umliefen.«
»Was für Geschichten?« Fidelma war neugierig.
»Von ihrer Promiskuität, von ihren unkeuschen Beziehungen zu anderen Brüdern. Von der Art, wie sie andere Leute für ihre eigenen Zwecke ausnutzte. Sie war das Gegenteil eines wirklich religiösen Menschen.«
»Das ist ein hartes Urteil über eine Schwester«, meinte Fidelma.
»Ein Größerer als ich wird über sie richten. ›Daß ihr wartet und eilet zu der Zukunft des Tages des Herrn, an welchem die Himmel vom Feuer zergehen und die Elemente vor Hitze zerschmelzen werden! Wir warten aber eines neuen Himmels und einer neuen Erde nach Seiner Verheißung, in welchen Gerechtigkeit wohnt.‹«
Fidelma war nicht beeindruckt von diesem Bibelzitat und überhörte es.
»Wie kommt es, daß solche Geschichten in deiner Abtei Bangor verbreitet wurden, während Muirgel doch Nonne in Moville war?«
»Es gab einen regen Austausch zwischen unseren Gemeinschaften. Unser Abt hatte oft Anlaß, dem Abt von Moville etwas auszurichten. Einmal mußte er ihm mitteilen, daß er solche Geschichten gehört hatte und daß sein Amtsbruder seine Gemeinschaft
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