08
meine Annahme. „Von einer solchen Verletzung hätte sich niemand erholen können."
Michael lehnte sich in seinem Stuhl zurück und blickte hinauf zur Decke.
„Hmmm." Dann standen wieder alle vier Beine des Stuhls auf dem Boden, und er sah uns alle unverwandt an.
Nun, fast alle. Uber den schlafenden Baby Jon glitt sein Blick hinweg, als wäre er gar nicht da. Er hatte keine Fragen nach dem Baby gestellt, keinen Kommentar gemacht, nicht einmal ein achtloses „Niedliches Kind". Und soweit ich gehört hatte, war er ein hingebungsvoller Vater, der kleine Teppichratten und Nasenbohrer liebte.
Aber Baby Jon sah er nie direkt an. Und das war sehr merkwürdig. So merkwürdig, dass es mich nervös machte.
„Ich hoffe, das Baby stört dich nicht", sagte ich. Doch darauf erwiderte Michael nichts. Jetzt traf sich sein Blick mit Deriks. Es war, als hätte er mich gar nicht gehört - obwohl ich ganz genau wusste, wie gut das Gehör von Werwölfen war.
Warum ignorierte man ein Kleinkind? Zu welchem Zweck? Und warum machte es mich so unruhig?
Ich wiegte Baby Jons Babysitz mit dem Fuß, während er schlief, und versuchte, meine Gefühle in den Griff zu bekommen. Immerhin musste ich mir über schlechten Atem im Moment keine Gedanken machen. Ganz im Gegenteil eigentlich. Und natürlich war die Stimmung angespannt, aber im Grunde waren sie doch alle recht nett.
Schließlich hätte der Empfang auch viel unfreundlicher ausfallen können.
Aber niemand hatte auch nur mit einem Kruzifix
24
in unsere Richtung gewinkt. Und bisher hatte uns auch niemand angegriffen.
Warum zitterte ich dann beinahe?
Sinclair, der meine Nervosität spürte, aber nicht den Grund dafür kannte, sah mich stirnrunzelnd an. Ich konnte nur leicht mit meiner linken Schulter zucken - die internationale „Ich sag's dir später"-Geste.
Außerdem hatte ich jetzt andere Probleme, auf die ich mich konzentrieren musste. Derik, zum Beispiel. Als er vor einigen Monaten auf der Suche nach Antonia bei uns vor der Haustür stand, war er so anders gewesen. Freundlich und charmant und lustig und sehr süß ... obwohl ich eigentlich nicht auf blonde Männer stand.
Nur ein einziges Mal hatte er die Fassung verloren, und zwar, als er mir ins Kinderzimmer gefolgt war und ... und ...
Beinahe konnte ich ein Klick hören, als der Groschen trotz meiner plötzlichen Nervosität fiel: Derik hatte immer großen Abstand zu Baby Jon gehalten, und Michael schien ihn nicht einmal zu sehen. Das war unmöglich. Ein zehn Kilo schweres Baby in einem pastellfarbenen Autositz war nicht zu übersehen, nicht wenn es direkt auf dem Boden stand und nach Babybrei und muffigem Puder roch.
Jetzt fiel mir auch auf, dass nur Jeannie auf das Baby reagiert hatte. Sie hatte einmal, als wir ihn in der Limousine angeschnallt hatten, über sein flaumiges schwarzes Haar gestrichen und gesagt, wie gut er aussähe. Da ich mir das nicht als Verdienst anrechnen konnte, hatte ich nur genickt.
Aber Derik ... Derik war mir einmal ins Kinderzimmer gefolgt und hätte sich anschließend beinahe den Hals auf der Treppe gebrochen, so eilig hatte er die Flucht ergriffen. Damals hatten sich dann die Ereignisse überschlagen, sodass ich nicht mehr daran gedacht hatte.
24
Noch einmal würde ich es nicht vergessen ... irgendetwas stimmte nicht mit diesem Kind. Oder mit jedem Werwolf, der in Kontakt mit ihm kam.
Und das gefiel mir nicht. Ganz und gar nicht.
Jetzt gingen Derik und Jeannie hinter uns auf und ab, was ebenso nervtötend war, wie es sich anhörte. Und ihnen war ihr Verhalten gegenüber Baby Jon nicht einmal bewusst. Derik war so emotionslos, als würde er lediglich einer Pfütze ausweichen, und Michael, der als echter Alphawerwolf sonst jedem Blick standhielt, vermied es, Baby Jon anzusehen.
Auf einmal hatte ich ein ganz neues Problem. Das hatte mir noch gefehlt.
Lieber wäre mir ein neues Paar Prada-Pumps gewesen.
24
9
Warum ich so schnell bereit war zu glauben, dass Baby Jon etwas Besonderes war? Nun, zum einen war da meine Schwester Laura, die zwar daheim in Minnesota war, meine Gedanken aber immer noch sehr stark beschäftigte, als ich nun Minzatem über die Mahagonifläche hauchte, die mich und den Alphamann von Antonias Werwolfrudel trennte.
Laura war eine unglaublich hübsche, naive und liebe Blondine, die von einem Pfarrer und seiner Frau aufgezogen worden war, was zum Teil erklärte, warum sie sich so unermüdlich in der Wohltätigkeitsarbeit einsetzte und sich voller Freude in
Weitere Kostenlose Bücher