080 - Die Vampir- Oma und ihre Kleinen
so eine merkwürdige, gelbliche Verfärbung. Wie ein verrunzelter kleiner Chinese schaut er aus. Was kann das denn sein?“
„Das kann ich von hier aus nicht sagen. Hat er geschrien? Wie ist sein Appetit?“
„Geschrien hat er nicht, außer bevor er sein Fläschchen bekam. Das hat er auch leergetrunken, wie immer.“
„Dann wird es wohl nichts Ernstes sein.“
„Ich wäre wirklich sehr froh, wenn Sie vorbeischauen könnten, Frau Engelmann.“
„Aber natürlich, Frau Finck. Vielleicht braucht der kleine Harald eine Art Diät, aber mehr wird es wirklich nicht sein. Machen Sie sich keine Sorgen. Von Diäten verstehe ich viel.“
Das Telefon läutete. Die rothaarige Frau nahm den Hörer ab.
„Hier Spedition Möller.“
„Funcke & Co. Wo bleibt Ihr Fahrer denn, Frau Möller? Wir warten jetzt schon eine Stunde.“
„Er ist vor einer halben Stunde gefahren. Er muß jeden Augenblick bei Ihnen sein.“
„Einmal, einmal möchte ich nicht auf eine Spedition warten müssen“, sagte die Stimme am andern Ende. „Es ist doch immer das gleiche. Na, hoffen wir, daß der Mann jetzt endlich kommt. Wiederhören, Frau Möller.“
Ruth Möller legte den Hörer auf. Ihr Mann war geschäftlich unterwegs, die einzige Bürokraft krank. So blieb wieder einmal alles an ihr hängen. Die Schreibarbeit, die Dispositionen, die Verhandlungen mit den Kunden. Dazu hatte sie auch noch eine Familie mit vier Töchtern und einen Haushalt zu versorgen.
Ruth Möller sah zu dem metallgrauen Aktenschrank an der Wand. Einen Augenblick schweiften ihre Gedanken von dem Fahrplan ab, der vor ihr auf dem Tisch lag.
Vier Töchter! Wie sehr hatten sie sich einen Sohn gewünscht, sie und Ludwig. Doch es war wieder ein Mädchen geworden. Es lag an ihr, das wußte Ruth. Der Arzt hatte es ihr medizinisch erklärt. Von einer Säurekonzentration hatte er gesprochen, die alle männlichen Spermazellen abtötete.
Ruth Möller seufzte. Sie liebte ihre Kinder, gewiß, aber es gab ihr doch einen Stich, daß sie nicht einen einzigen Jungen zur Welt bringen konnte. Zudem hatte sie kaum Zeit für die Kinder. Siebzehn Tage war es her, daß sie Erika zur Welt gebracht hatte. Und schon war sie wieder beruflich eingespannt.
Am Morgen war ihr aufgefallen, daß das Baby etwas gelblich aussah. Sollte sie den Arzt anrufen oder zunächst einmal abwarten? Appetit hatte die Kleine ja und sie benahm sich nicht anders, als es die andern drei im gleichen Alter auch getan hatten. Ob diese gelbliche Farbe etwas zu bedeuten hatte?
Wieder läutete das Telefon. Ruth Möller nahm ab, meldete sich mit dem Firmennamen.
„Wagner Apparatebau. Also, Frau Möller, die Rechnung, die Sie mir da geschickt haben, damit kann ich mich auf gar keinen Fall einverstanden erklären. Sie berechnen acht Stunden Fahrt. Das ist vollkommen ausgeschlossen. Selbst bei stärkstem Verkehr kann der Fahrer nicht mehr als fünf gebraucht haben, Mittagszeit eingerechnet.“
Ruth Möller vergaß die gelbliche Färbung der kleinen Erika wieder. Geduldig begann sie, mit dem Chef der Firma Wagner Apparatebau zu verhandeln.
„Ich muß für kurze Zeit weg, Roswitha“, sagte Annie Engelmann. „Du wirst auf keinen Fall, hörst du, auf gar keinen Fall das Haus verlassen. Ich bin bald zurück.“
Die Haustür schloß sich hinter ihr. Roswitha blieb allein zurück. Sie wartete eine Weile, bis sie sicher war, daß Annie nicht zurückkommen würde. Dann stieg sie langsam die
Treppe hoch, betrat jenes unheimliche Zimmer im zweiten Stock des alten Hauses.
Die Statue stand an ihrem Platz auf der Kommode. Im Wäschekorb unter dem Fenster lagen die drei Säuglinge. Blaß und regungslos. Einen Augenblick lang glaubte Roswitha entsetzt, sie seien tot, umgebracht von ihrer Mutter, die ihnen das Blut ausgesaugt hatte.
Doch dann sah sie, daß die Kinder lediglich in einem tiefen, betäubungsähnlichen Erschöpfungsschlaf lagen. Sie beugte sich über sie. Jedes der Babys hatte zwei rote, blutunterlaufene Punkte am Hals über der Schlagader. Roswitha fragte sich, warum sie nicht verblutet waren. Doch dann erinnerte sie sich, daß die beiden Vampirzähne ihrer Mutter einen Stoff absondern konnten, der zunächst ein Gerinnen des Blutes verhinderte und die kleinen Wunden verschloß. Nach allem, was sie mit Annie und der schwarzen Statue erlebt hatte, erschien das Roswitha nicht mehr verwunderlich.
Noch lebten die Kinder, aber wie lange? Sie mußten fort. Roswitha nahm den Korb. Als sie das Zimmer verließ, war
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