080 - Die Vampir- Oma und ihre Kleinen
es ihr, als blickten ihr die dunklen Jettsteinaugen des gehörnten Mannes mit dem Pferdefuß boshaft nach. Roswitha trug die schlafenden Kinder die Treppe hinunter und öffnete die Haustür.
Doch sie konnte nicht über die Schwelle treten, so sehr sie es auch versuchte. Es war die einfachste Sache der Welt, hinaus auf die Straße zu gehen, aber Roswitha brachte es nicht fertig. Ihre Glieder gehorchten ihr nicht.
Sie versuchte es an der Hintertür, versuchte sogar, aus dem Fenster zu steigen. Ohne Erfolg. Es war ihr einfach unmöglich, das Haus zu verlassen. Wieder einmal wurde sie mit den dämonischen Kräften ihrer Mutter konfrontiert. Waren diese noch stärker geworden – etwa durch das Blut der Säuglinge? – denn früher hatte Annie es nicht fertiggebracht, Roswitha ins Haus zu bannen.
Verzweifelt setzte sich Roswitha auf die Couch des Wohnzimmers im Erdgeschoß. Gab es denn keine Möglichkeit, die Kinder zu retten? Da kam ihr ein Gedanke. Sie lief zum Telefon und wählte aufgeregt die Nummer des Städtischen Krankenhauses. Eine klare Frauenstimme meldete sich.
„Hier bei Hebamme Engelmann, Roswitha Engelmann am Apparat. Stellen Sie sich vor, man hat heute nacht hinter unserem Haus drei Säuglinge ausgesetzt. Können Sie die Kinder mit dem Ambulanzwagen abholen lassen?“
„Ist das die Möglichkeit? Drillinge, und einfach ausgesetzt? Hier in der Stadt gab es schon seit zehn oder zwanzig Jahren keine Drillingsgeburt mehr. Wie geht es den armen Würmchen denn?“
„Soweit ich das beurteilen kann, recht gut. Sie sollten aber trotzdem schnell in ärztliche Obhut.“
„Natürlich. Das machen wir schon.“
Eine Viertelstunde später kam der Ambulanzwagen mit Blaulicht. Ein Arzt und zwei Sanitäter stiegen aus. Der junge Arzt machte einen sympathischen Eindruck.
„Dr. Schneider“, stellte er sich vor. „Zunächst glaubte ich an einen dummen Scherz, doch da Sie hier wirklich warten, Fräulein Engelmann, muß doch wohl etwas an der Sache sein. Wo sind denn die Babys?“
„Im Nebenzimmer. Kommen Sie.“
Roswitha führte den Arzt zu dem Korb, in dem die Säuglinge lagen, noch immer in die großen, vergilbten Laken eingewickelt. Dr. Schneider sah sich die Kinder kurz an.
„Sie machen einen sehr geschwächten Eindruck. Sind wohl völlig unterernährt. Nun, im Krankenhaus werden wir sie schon durchbringen, da bin ich sicher.“ Er sah die Bißstellen an den Hälsen der Kinder. „Was ist denn das?“
„Was geschieht jetzt mit den Kindern?“ fragte Roswitha, um ihn abzulenken.
„Sie werden zur Adoption freigegeben. Es gibt eine Menge kinderloser Ehepaare, die sich Nachwuchs wünschen. Weiß Ihre Mutter denn nichts von den Kleinen, Fräulein Engelmann?“
„Nein. Sie ging vor einer halben Stunde. Ich sah den Korb mit den Kindern vor der Hintertür, als ich den Abfalleimer zur Mülltonne rausbringen wollte.“
„So etwas. Rabenmütter gibt es. Das wird wohl in unserer kleinen Stadt eine Sensation hervorrufen. Ausgesetzte Drillinge. Na, es war jedenfalls sehr vernünftig von Ihnen, daß Sie gleich das Krankenhaus angerufen haben, Fräulein Engelmann.“
Der Arzt gab den beiden Sanitätern einen Wink. Sie nahmen den Korb und trugen ihn hinaus zum Ambulanzwagen.
Dr. Schneider sah Roswitha an. Das Mädchen mit den schwarzen Haaren und blauen Augen gefiel ihm, aber irgendwie erschien sie dem jungen Arzt traurig, als habe sie einen geheimen Kummer.
„Wir werden uns bestimmt bald wiedersehen“, sagte er. „Sie wollen doch sicher wissen, wie sich Ihre Drillinge entwickeln.“
Roswitha schossen die Tränen in die Augen.
„Ja, es ist wirklich schlimm, wie grausam und herzlos die Menschen manchmal sein können“, sagte der junge Arzt, der das völlig falsch auslegte. „Sie hören wieder von mir.“
In diesem Augenblick stürzte Annie Engelmann wie eine Furie in das Zimmer. Ihre Augen blitzten, ihr Gesicht war vor Wut verzerrt. Wenn Dr. Schneider nicht dagewesen wäre, wer weiß, was sie im ersten Zorn mit Roswitha angestellt hätte.
Sie konnte kaum sprechen, so wütend war sie.
„Diese … diese Kinder. Roswitha, du hast …“
„Ihre Tochter hat das einzig Richtige getan, Frau Engelmann. Sie hat die Kinder an die Stelle weitergeleitet, die für sie sorgen wird, bis sie in einer ordentlichen Familie ein Zuhause finden. Die Sanitäter sagten Ihnen, daß diese Kinder vor Ihrer Hintertür ausgesetzt wurden?“
Annie musterte den jungen Arzt eisig. Sie beherrschte sich mühsam.
„Ja, so
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