080 - Die Vampir- Oma und ihre Kleinen
Mark, oder wir gehen beide hoch.“
„Hier habe ich das Geld nicht, Doktor. Können Sie heute abend noch einmal vorbeikommen?“
„Gut. Gut. Aber versuchen Sie nicht, mich reinzulegen.“
Marasch stolperte hinaus. Er ging, als wären alle seine Knochen falsch eingehängt. Das Wrack eines Mannes.
Annie Engelmann eilte die Treppe hoch. Sie holte in dem düsteren Zimmer die Kristallkugel aus der Kommodenschublade, außerdem zog sie die Fenstervorhänge zu. Dann setzte sie sich auf einen Stuhl, nahm die Kristallkugel und rieb sie blank. Sie blickte starr in den blanken Kristall, konzentrierte sich auf eine Gefahr, die ihr und den Kindern drohte. Dabei dachte sie an Dr. Marasch. In der Kugel war nichts zu sehen.
„Sollten die Konstellationen der Gestirne schon wieder so ungünstig sein?“ sprach Annie Engelmann mit sich selbst.
Sie konzentrierte sich nur auf Gefahr, ohne an eine bestimmte Person zu denken. Sofort sah sie in der Kristallkugel einen kräftig gebauten, großen Mann. Er war gut gekleidet, hatte dünnes, sandfarbenes Haar. Ludwig Möller. Er war so deutlich und klar zu erkennen, daß die Gefahr, die von ihm drohte, sehr nahe und groß sein mußte.
„Marasch blufft, der alte Narr“, sagte Annie leise vor sich hin. „Er hat nichts bei einem Rechtsanwalt deponiert. Er ist viel zu feige, um gegen mich vorzugehen. Doch vielleicht redet er eines Tages in seiner Betrunkenheit zuviel …“
Annie sah den Gehörnten an. Die Augen der Statue phosphoreszierten.
„Er ist eine Bedrohung“, sagte sie. „Irgendwann kann er gefährlich werden, auch wenn in der nächsten Zeit nichts von ihm zu befürchten ist.“
Annie nahm einen Gegenstand aus einem Kasten in der Kommode, den sie schon vor langer Zeit in weiser Voraussicht beiseite gebracht hatte. Es war ein eleganter Schweinslederhandschuh aus der Zeit, als es Marasch noch besser ging. Annie flüsterte Beschwörungen, zeichnete Figuren und Linien in die Luft.
Dann nahm sie den Handschuh. Mit schwarzem Filzstift malte sie ein grob umrissenes Männchen darauf. Sie griff nach einer langen Nadel und hielt sie über die Stelle, wo sich das Herz des Männchens befinden mußte.
„Hilf, Meister.“
Die Nadel stieß durch das Leder des Handschuhs, durchbohrte das Männchen.
Im gleichen Augenblick, mitten auf einer verkehrsreichen Kreuzung, griff sich Dr. Marasch an die Brust. Er rang nach Luft. Dann sank er über dem Lenkrad zusammen. Sein Wagen aber rollte weiter, verfehlte um Haaresbreite ein entgegenkommendes Sportcoupe, überfuhr die Bordsteinkante und krachte in die Auslagen eines Obstgeschäftes.
Als der fluchende Obsthändler aus dem Laden gerannt kam, fand er einen Toten hinter dem Steuer. Herzschlag, konstatierte der rasch herbeigerufene Unfallarzt kurze Zeit später.
Annie Engelmann war in ihrem Haus am Fluß schon mit der nächsten Beschwörung beschäftigt. Sie konzentrierte sich auf Erika, ihren Liebling, rief sie herbei.
Erika spürte plötzlich den Drang, zu Annie Engelmann zu gehen. Sie gab ihm nach.
Annie erwartete sie in der Abenddämmerung an der Tür ihres düsteren Hauses.
„Du bist in großer Gefahr, Erika“, sagte sie zu dem Kind. „Obwohl du ungehorsam und böse warst, kann ich dich nicht im Stich lassen. Ich glaube, dein Ziehvater hat erkannt, was du bist. Er plagt sich wohl noch mit seinem Gewissen herum, aber bald wird er einen Entschluß fassen, und dann bist du verloren, Erika.“
Annie sprach so ernst und mit solch düsterer Bestimmtheit, daß Erika keinen Widerspruch wagte.
„Ich hörte heute, wie Vater ein Telefongespräch führte“, sagte sie. „Er dachte, es sei niemand außer ihm im Haus. Er sprach mit einem Professor Gernreich. Er erzählte ihm über mich, daß ich ein Vampir sei und unheimliche Fähigkeiten habe. Der Professor will noch heute abend in die Stadt kommen.“
„Gernreich“, flüsterte Annie. „Ich kenne diesen Namen. Der Professor beschäftigt sich mit Parapsychologie und okkulten Phänomenen. Er ist einer unserer größten Gegner, denn er ist nicht so ungläubig und skeptisch wie die andern Menschen. Er weiß, wie wir entlarvt und vernichtet werden können. Du darfst auf keinen Fall nach Hause zurück, Erika, sonst bist du verloren. Du bleibst hier bei mir.“
„Man wird mich suchen.“
„Hier findet dich keiner. Ich werde dich in den Zauberriten und Beschwörungen unterweisen, Erika, und dir die Grundbegriffe der Schwarzen Magie beibringen. In einiger Zeit, wenn Gras über das
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