0804 - Die Frau mit den Totenaugen
Weg begann, der den Vorgarten teilte und auf das verklinkerte Haus zuführte, blieb sie stehen und räusperte sich so laut, dass sie der Mann hören musste.
Er ließ sich zunächst nicht stören, sondern drückte mit den Händen weichen Boden um eine frisch eingesetzte Pflanze platt, nickte zufrieden und kam schnaufend hoch.
»Guten Tag«, sagte Glenda freundlich.
Der Mann drehte sich um. Er trug einen Bart. Sein Gesicht war wettergegerbt, deshalb war sein Alter schlecht zu schätzen. Der Mund zeigte ein Lächeln, als er antwortete. »Den guten Tag darf ich Ihnen auch wünschen, Miss.«
»Danke sehr. Ich bin Glenda Perkins, und Sie sind, nehme ich mal an, Mister Hurt.«
»Ja, ich bin James Hurt.«
Glenda atmete auf. »Dann bin ich richtig.«
»Es kommt darauf an, was Sie meinen. Wie richtig sind Sie hier? Was kann ich für Sie tun? Meine Frau und ich vermieten Zimmer, wie Sie bestimmt wissen. Wollen Sie bei uns wohnen?«
»Das könnte sein.«
»Pardon, es klingt nicht ermutigend.«
Glenda sah, dass sich hinter einem der unteren Fenster die Gardine leicht bewegte. Sie konnte auch die Gestalt einer Frau ausmachen, die dort stand. Wahrscheinlich Mrs. Hurt.
»Also, Miss…«
»Tja, die Sache ist die. Da ich schon an der richtigen Stelle bin, hätte ich gern mit Fiona Finley gesprochen.«
Der Mann zeigte eine seltsame Reaktion. Er legte seine Hand gegen das Ohr und tat, als hätte er Glenda nicht verstanden. »Wen, bitte, wollen Sie sprechen?«
»Fiona Finley.«
»Ach.«
»Sie wohnt bei Ihnen.«
Der Mann überlegte, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, das müsste ich aber wissen.«
»Wollen Sie sagen, dass meine Freundin nicht bei Ihnen wohnt?«
»Genau das.«
»Das darf doch nicht wahr sein«, entfuhr es ihr.
Nahezu entwaffnend schaute sie der Mann an. »Warum darf das nicht wahr sein, Miss Perkins?«
»Weil sie hier wohnt.«
»Nein.«
Glenda holte durch die Nase Luft und lauschte dem schnaufenden Geräusch. »Hören Sie, Mister Hurt, ich weiß genau, dass sie hier wohnt. Das hat sie mir gesagt.«
»Hier bei uns?«
»Ja.«
Der Mann schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, nein, das kann nicht stimmen.«
»Warum nicht?«
»Weil ich es wüsste, denn meine Frau und ich arbeiten hier gemeinsam. Jeder weiß, was der andere tut, verstehen Sie das? Es gibt keine Geheimnisse zwischen uns, was das Geschäftliche angeht. Sie müssen sich geirrt haben, Miss Perkins.«
»Sorry, das habe ich mich nicht.«
Der Mann hob die Schultern. »Dann kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen.«
Glenda fühlte einen heiligen Zorn in sich hochsteigen. Gleichzeitig mischte sich eine gewisse Röte in ihr Gesicht. Sie hatte längst den Eindruck, hier auf den Arm genommen zu werden. So harmlos der Mann tat, er hatte es bestimmt faustdick hinter den Ohren und beobachtete Glenda aus kleinen Glitzeraugen. Bisher war sie nicht so stark davon überzeugt gewesen, dass mit ihrer Freundin etwas nicht stimmte. Nun aber glaubte sie fest daran, und sie machte sich Sorgen um sie. Es war schon eine schlimme Angst, die in ihr hochstieg, denn harmlos war dieser Mann sicherlich nicht, auch wenn er so tat. »Ich denke schon, Mister Hurt.« Der Mann senkte den Kopf.
»Sie glauben mir nicht?«
»Nein!«
Die harte Antwort hatte ihn nicht erschreckt, eher misstrauisch gemacht, sein Lächeln war falsch, und die Stimme klang einfach zu weich, um echte Gefühle zu zeigen. »Können Sie mir erklären, was Ihre Antwort bedeuten soll, Miss Perkins?«
»Das kann ich genau, Mister Hurt. Ich weiß, dass meine Freundin hier bei Ihnen gewohnt hat, denn sie rief mich aus Ihrem Haus an. Verstehen Sie?«
»Ja, aber ich begreife es nicht.«
»Es war in der vergangenen Nacht.«
»Ach – wann denn?«
»Kurz vor der Tageswende.« James Hurt hob seine kleine Metallkralle, als wollte er die beiden gebogenen Zinken in Glendas Hals stoßen. »Sie wird Ihnen einen Bären aufgebunden haben. Hier hat keine Fiona Finley gewohnt, und telefoniert hat in der letzten Nacht auch niemand.«
»Was macht Sie da so sicher?«
»Wir hätten es gehört.«
»Sie haben nicht geschlafen?«
»Nein, meine Frau und ich haben uns noch lange unterhalten. In unserem Alter braucht man nicht so viel Schlaf, wissen Sie?« Er deutete in die Runde. »Es kann ja sein, dass sie hier in Harrings-on-Sea war. Ich an Ihrer Stelle würde es mal woanders versuchen. Hier gibt es zahlreiche Pensionen und Hotels…«
»Sie war aber bei Ihnen!«, beharrte Glenda.
»Und ich sage nein.«
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