0807 - Das Gespenst von Angus Castle
wider, was ihn als Empfindungen durchströmte. Wenn ich es richtig interpretierte, mußte es für ihn eine schlimme Wahrheit sein.
Neben mir fiel der Schatten des Menschen in den Raum. Er reichte über das Türende hinweg. Der Ankömmling hatte mich noch nicht gesehen, aber mein Vater sah ihn.
Dann sagte mein Vater ein Wort, das mich fast von den Beinen riß.
»Mary…«
Nein, ich fiel nicht um. Aber ich hatte das Gefühl, Säure getrunken zu haben, so sehr wühlte sich bei mir der Magen um. Ich spürte sogar einen leichten Schwindel, als hätte ich einen Schlag gegen den Kopf erhalten, und es war allein der Name, der mich dermaßen stark aus dem Konzept gebracht hatte.
»Mary, mein Gott…«
Mary kam näher.
Ich hörte ihre tappenden Schritte. Mein Vater sah aus, als wollte er jeden Moment auf dem Stuhl zusammensinken und versuchen, in die Fläche zu kriechen. Er konnte nicht mehr sprechen, dafür würgte er die Worte hervor. »Was… was … hast du getan …?«
Er erhielt keine Antwort.
Ich sah den Rücken der Frau. Sie hatte mich noch nicht gesehen, da ich nach wie vor im toten Winkel stand. Und dann hörte ich die Stimme meiner Mutter, die sagte: »In dieser Lage müssen wir alle zusammenhalten, denke ich…«
Das war genau der Moment, in dem ich mich von meinem Platz löste und in den Raum hineintrat. Ich überholte meine Mutter und drehte mich erst um, als ich auf der Höhe meines Vaters stand.
Wir schauten uns an.
Ich sah ihr Gesicht, das ich so liebte. Es war zusammengefallen.
Die Frische der Haut, die sie trotz ihres Alters noch aufwies, war völlig verschwunden. Grau und faltig, hinzu kamen die leeren Augen, die so blicklos waren. Sie schien völlig abwesend zu sein und machte auf mich nicht den Eindruck, als hätte sie mich, ihren Sohn, erkannt. Zu diesem Gesamtbild paßte auch irgendwie der Gegenstand, den sie mit der rechten Hand an einem leichtgebogenen Griff festhielt, und der mir für sie komischerweise viel zu schwer aussah.
Es war ein Beil, von dessen Klinge noch das frische Blut zu Boden tropfte…
Im Unterbewusstsein hatte ich diese Geräusche gehört, als die Tropfen auf dem Boden zerplatzt waren. Ich hatte aber nicht darauf geachtet, nun aber sah ich mit brutaler Deutlichkeit, was da geschehen war, und ich konnte mir einfach nicht vorstellen, daß meine Mutter die Menschen…
Das blutige Blei sprach dafür.
Frisches Blut!
Ich erwachte aus meiner Erstarrung. Weit konnte ich nicht weglaufen, meine beiden Eltern wollte ich auf keinen Fall allein lassen. Ich mußte wissen, welches Drama hier gelaufen war, und als ich vor dem Haus stand, sah ich nichts.
Nur die Blutspur. Sie führte nach links, wo auch die Koppeln lagen. Auf den ersten Blick war dort nichts zu sehen. Ich ging wieder zurück in das Haus. Es wäre fatal gewesen, wenn ich mich jetzt aus dem Staub gemacht hätte.
Meine Mutter stand nicht mehr. Sie hatte sich hingesetzt, und das Beil lag vor ihren Füßen.
Sehr langsam schloß ich die Tür. Das Familiendrama würde jetzt in seine zweite Phase treten.
War meine Mutter eine Mörderin? Hatte sie auch mit den drei Leichen im Schacht unmittelbar zu tun? Ich konnte diese Frage weder mit einem Ja noch mit einem Nein beantworten, doch ich tendierte eher zu einem Ja hin, da brauchte ich mir nur das Beweisstück vor ihren Schuhen anzusehen.
So hätte ein nüchterner, ein unbeteiligter Mensch gedacht. Das war ich in diesem Fall nicht. Ich war weder realistisch noch unbeteiligt, denn hier ging es um eine Frau, die ich liebte, eben um meine Mutter. Da konnte ich eben nicht unbeteiligt bleiben, und ich schaute direkt in ihr Gesicht.
Sie wich meinem Blick nicht aus, als wollte sie damit andeuten, daß ich von ihr nichts zu befürchten hatte.
Mein Vater saß an der anderen Seite des Holztisches. Er schaute seine Frau an wie eine Fremde, deren Hände jetzt über den Rock hinwegwischten, als wollte sie das Blut abputzen, das möglicherweise noch an ihnen klebte.
»John…«, sagte sie.
Ich lächelte. »Mutter, wir haben uns Sorgen gemacht.«
»Das weiß ich. Komm her – bitte.«
Ich ging auf sie zu. Näherte ich mich einer Mörderin? Verdammt noch mal, das konnte und wollte ich nicht akzeptieren, auch wenn die Tatsachen dagegen sprachen.
Sie lächelte.
Konnte ein Mensch lächeln, der erst vor kurzem getötet hatte?
Vielleicht ein Profikiller, doch meine Mutter war keiner.
Ich blieb so dicht vor ihr stehen, daß ihre Knie meine Beine berührten. Sie streckte mir die Hände
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