0807 - Das Gespenst von Angus Castle
Rätsels, denke ich.«
»Das kann ich dir nicht sagen. Die Besitzer des kleinen Schlosses, das seit einigen Jahrzehnten leer steht, waren Lord und Lady Lyell. Es ist ja auch kein Prachtbau, wie du dich selbst hast überzeugen können. Ein kleines und normales Schloß, man hätte dazu Jagdschloss sagen können. Das ist alles.«
»Warum steht es leer?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Vielleicht spukt es darin. Du hast die beiden Gestalten ja gesehen.« Er schauderte. »Eine von ihnen hat mich in den Sarg gelegt.«
»Ja, aber so, daß du nicht erstickt wärst. Man hat Spuren hinterlassen. Man wollte, daß ich dich fand. Man hat uns hergelockt, und wie war das mit Mutter?«
»Das kann ich dir nicht sagen, John. Sie ist ihren eigenen Weg gegangen. Mich hat sie nicht gefragt.«
»Was weißt du eigentlich?«
»Viel zu wenig, John. Ich würde gern mehr wissen. Und ich habe damit gerechnet, daß man mich aufklärt. Daß mein Besuch hier mit einer Gefahr verbunden sein könnte, habe ich mir natürlich gedacht. Deshalb rief ich dich ja an, John…«
»Du hättest mir mehr sagen können.«
»Da wußte ich nichts. Man hat mich nur herbestellt. Es geht um die Sinclairs.«
»Familiendrama.«
»Fast.« Er nahm eine andere Sitzposition ein. »Wobei ich nicht unsere jetzige Familie meine. Die Gedanken, die ich führe, sind reine Spekulation, aber könntest du dir vorstellen, daß dieses Geschehen heute etwas mit damals zu tun hat?«
Ich runzelte die Stirn. »Für einen ehemaligen Anwalt hast du dich schwammig ausgedrückt, Dad.«
»Das weiß ich selbst. Mit damals meine ich andere Vorgänge, die längst in der Vergangenheit begraben liegen und mit denen wir nichts zu tun haben, wofür wir möglicherweise büßen müssen. Mir ist so viel durch den Kopf gegangen, John, und ich könnte mir vorstellen, daß diese Theorie schon stimmt.«
»Ja«, murmelte ich. »Das ist nicht schlecht gedacht.«
»Wir müssen es nur herausfinden.«
Ich deutete gegen die Wände. »Sollen Sie sprechen, Dad? Willst du mit ihnen reden?«
»Nein, das ist Unsinn. Nur…«
Er redete kein Wort mehr, denn ich hatte mit einer scharfen und kurzen Bewegung die rechte Hand gehoben, weil mir etwas aufgefallen war. Draußen war ein Geräusch aufgeklungen. Dort tat sich etwas. Und ich glaubte nicht daran, daß es ein Tier gewesen war.
Keine Ziege hatte lauter gemeckert, kein Schaf stärker geblökt. Das waren ganz andere Dinge, die mich gestört hatten.
»Was ist denn?« wisperte mein Vater.
»Ich weiß es noch nicht. Es… es … können Schritte gewesen sein, glaube ich.«
Horace F. Sinclair wollte aufspringen, meine nächste Handbewegung aber stoppte ihn. »Nein, du bleibst da, wo du bist. Du wirst denjenigen erwarten, der kommt.«
»Was hast du vor?«
»Ich stelle mich woanders hin.« Mit einem langen Schritt erreichte ich genau die Stelle neben der Tür, die man als einen toten Winkel bezeichnen konnte. Ich konnte auch nicht von draußen gesehen werden, aber die Geräusche der Schritte waren für uns beide deutlicher zu hören.
Mein Vater spannte sich auf seinem Stuhl. Er stand nicht auf, sondern reckte den Hals, um so besser durch ein Fenster schauen zu können. Es war relativ klein, entsprechend gering gestaltete sich auch sein Blickwinkel.
»Kannst du was sehen?« flüsterte ich.
Er schüttelte den Kopf.
»Kommt da jemand?«
»Klar, nur sehe ich die Person nicht. Sie muß sich der Tür von der Seite her nähern.«
»Warten wir ab.« Ich behielt meinen alten Herrn unter Kontrolle.
Er hatte sich bisher gut gehalten, nun aber wurde er nervös. Auch daran zu erkennen, daß er stark schwitzte und sich mit der Hand immer wieder durch das Gesicht fuhr. Warten… lauern … Irgendwann waren Schritte zu hören. Sie verstummten vor der Tür.
Dann wurde die Tür aufgeschoben. Sofort hörte ich das Atmen und kurz darauf eine zischende Stimme. Ich konnte nicht verstehen, was sie sagte, aber ich hatte herausgefunden, daß die Stimme einer Frau gehörte.
Mrs. McDuff kam…
***
Horace F. Sinclair saß wie auf dem Sprung. Er sah so aus, als wollte er jeden Augenblick seinen Stuhl verlassen und auf die Tür mit hastigen Schritten zurennen.
Das geschah nicht.
Stattdessen kratzte die sich nach innen öffnende Tür weiterhin über den Boden. Der Spalt war groß genug, um einen Menschen hindurchzulassen, und dieser Mensch stand auch sichtbar für meinen Vater auf der Schwelle.
Ich sah ihn, ich sah nur sein Gesicht. In ihm spiegelte sich all das
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