0807 - Das Gespenst von Angus Castle
Unter der Jacke schimmerte die grüne Wolle eines weit geschnittenen Pullovers.
Sie kümmerte sich nicht um mich, arbeitete ruhig weiter, stellte aber urplötzlich die Säge ab, schlug nach den Fliegen und hob den Kopf. »Es war sehr krank«, sagte sie. »Zuerst mußte ich es töten, nun ja, und jetzt…« Sie stand auf. »Ich löse nur das Fell.«
Ich wartete ab. Erst als sie das Tote Schlaf losgelassen hatte und auf mich zukam, fragte ich: »Sind Sie Gilda McDuff?«
»Ja, die bin ich.« Sie blieb stehen, hielt die Motorsäge in der rechten Hand und senkte den Arm. »Darf ich fragen, wer Sie sind, Mister?«
Ich schaute in ihr herbes Gesicht mit der sonnenbraunen Haut.
»Mein Name ist John Sinclair, Madam…«
Gilda McDuff überlegte und antwortete nicht. Sie dachte nach, ob sie damit etwas anfangen konnte, schüttelte dann den Kopf und murmelte: »John Sinclair…«
»Ist Ihnen das kein Begriff?«
»Sinclair schon, aber John…«
»Ich liebe Familientreffen«, sagte ich. »Wenn Sie schon meine Eltern herholen, wollte ich nicht fehlen. Wir halten nämlich zusammen, müssen Sie wissen.«
Gilda McDuff fuhr mit der freien Hand durch ihre Haare und strich es zur Seite. »Jetzt verstehe ich«, sagte sie. »Ich muß schon sagen, Sie haben Mut.«
»Wieso?«
Sie warf demonstrativ einen Blick auf das Blatt der Motorsäge, von dem Blut tropfte. »Das ist für die Sinclairs nicht eben das Paradies.«
»Kann ich mir denken. Die drei Toten im Schacht, waren das auch Sinclairs?«
»Ja. Ich habe sie dort hineingeworfen. Ich bin so etwas wie der Totengräber für Lord und Lady Lyell. Die beiden leben dort oben im Schloß. Ich habe ihnen sogar einen Sarg dort hingestellt.« Sie verzog das Gesicht. »Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr die beiden die Sinclairs hassen.«
»Das habe ich gesehen. Warum?«
»Ich weiß es nicht genau, aber ich weiß, daß sie den Namen etwas anders ausgesprochen haben. Was spielt das noch für eine Rolle! Jedenfalls wollen sie ihre Rache.«
Ich dachte über die Tragweite dieser Worte nicht weiter nach, sondern blieb mit meinen Fragen sehr realistisch. »Ich wüßte nicht, was ich ihnen getan hätte.«
»Das ist mir auch ein Rätsel.«
»Dennoch will man uns töten?«
Gilda McDuff nickte, als wäre dies das normalste auf der Welt. »Ja, man möchte sie töten, diese Sinclairs. Sicherlich wissen Sie, daß Ihr Name hier in Schottland nicht eben selten ist. Es gab und es gibt noch Sinclair-Clans, es gibt auch eine Sinclair Bay im Nordosten.«
»Das weiß ich. Dabei kann ich mir nicht vorstellen, daß die Lyells alle Sinclair umbringen wollen.«
»Da haben Sie recht«, gab sie locker zu.
»Also wollen Sie uns töten.«
»Ja, und die anderen haben sie schon umgebracht, weil sie der Meinung waren, daß es ebenfalls die richtigen waren. Sie werden noch mehr kommen lassen, denke ich.«
»Und Sie helfen ihnen dabei?«
Ein beinahe verwunderter Blick traf mich. »Natürlich helfe ich ihnen. Das muß auch so sein. Sehen Sie mal, ich bin eine Aussteigerin. Ich hielt es in der Großstadt nicht mehr aus und habe mir hier mein kleines Paradies geschaffen. Um hier leben zu können, mußte ich mich arrangieren. Das habe ich getan.«
Ich zeigte mit dem Daumen hinter sich. »Mit denen da oben?«
»Sehr richtig.«
»Sie wissen aber auch, mit wem Sie es zu tun haben, Mrs. McDuff?«
»Es sind die Lyells.«
»Mir geht es dabei nicht um den Namen, sondern um die Personen direkt.«
Gilda McDuff lachte. »Tja, so ist das nun mal. Die Lyells sind eben Gespenster, Geister, Tote, die keine Ruhe finden. Sie wissen doch, daß es zahlreiche, verfluchte Orte bei uns gibt.«
»Ja, das weiß ich.«
»Dann brauchen Sie sich ja weiterhin keine Gedanken zu machen. Wissen Sie, Sinclair«, sie setzte sich in Bewegung und ging auf ein schmales Tor zu. »Es ist doch so: Man steigt aus, man sucht nach einem Home, in das man sich zurückziehen kann. Man findet einiges, man bekommt auch etwas angeboten, aber gewisse Dinge sind eben nicht für alle Menschen. Ich bin nicht vor diesem Schloß zurückgeschreckt, das die Familie Angus vor mehr als sechzig Jahren Hals über Kopf verlassen hat, weil eben die Lyells dort spukten. Ich habe mich mit den Geistern arrangiert. Wir verstehen uns gut, glauben Sie mir.« Die Frau zerrte das Gatter auf und ging weg, ohne sich um mich zu kümmern.
Ich blickte ihr nach, wie sie mit der Motorsäge davon stapfte. Zuerst hatte ich den Eindruck, als wollte sie das Haus betreten,
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