0808 - Anruf aus dem Jenseits
Als er hineinblickte, sah er nur ein Meer aus wabernder Schwärze.
Hier musste es sein!
Zamorra löste die vorsorglich mitgebrachte Taschenlampe vom Gürtel und schaltete sie ein, um sich dann langsam in die Dunkelheit vorzuwagen.
Bereits nach wenigen Schritten verzog er unwillkürlich das Gesicht. Abfallgestank wehte ihm entgegen. Offenbar schien jemand die örtlichen Hinterhöfe als Müllhalde zu missbrauchen.
Tapfer ging er weiter, bis er schließlich einen kleinen Innenhof erreichte. Der Nachthimmel war durch die umstehenden Häuser nur noch als kleines Viereck auszumachen. Von Fenster zu Fenster spannten sich dicht behängte Wäscheleinen. In den Ecken des Hofes stapelten sich Abfallsäcke und Sperrmüll.
Er war am Ziel. Genauso hatte ihm Michel Corbiere den Ort beschrieben.
Unwillkürlich schüttelte Zamorra den Kopf. Er fragte sich, warum Zindler das Risiko eingegangen war, die Dämonenbeschwörung unter freiem Himmel durchzuführen, wo er jederzeit ertappt werden konnte. Andererseits, so sagte er sich, wusste er so gut wie nichts über den Dämon, mit dem sich der Österreicher eingelassen hatte. Vielleicht verlangte Hemorgian besondere Rituale von seinen Dienern. Die seltsamen Umstände der Beschwörung schienen ganz darauf hinzudeuten.
Zamorra öffnete die obersten Knöpfe seines Hemds, um im Bedarfsfall schneller an sein Amulett gelangen zu können. Dann ging er langsam in die Knie.
Interessiert untersuchte er den Boden. Natürlich waren nach einem Jahr keine sichtbaren Spuren des Rituals mehr zu finden, aber auch Merlins Stern zeigte keinerlei Reaktion.
Nach einer Weile richtete sich Zamorra enttäuscht wieder auf. Irgendwie hatte er sich mehr versprochen.
Verdrossen machte er sich daran, den schmutzigen kleinen Hinterhof zu verlassen und erneut in das enge Gassengewirr vorzudringen.
***
Paul Vignier lehnte an der Wand des Besucherraums und hielt die Waffe starr auf das Pärchen gerichtet, das sich furchtsam auf den Stühlen zusammenkauerte.
»Mit der Sache kommst du nicht durch«, sagte Michel Corbiere zum wiederholten Male in dieser Nacht. »Gib doch einfach auf!«
Vignier antwortete nicht.
»Du bist in einem Polizeirevier, Mann«, erinnerte ihn Corbiere. »Denkst du ernsthaft, du kommst hier unversehrt raus?«
Ein abschätziges Schnauben Vigniers war die einzige Reaktion.
Corbiere, der den Arm schützend um die zitternde Christine gelegt hatte, zog sie enger an sich. Furchtsam barg sie das Gesicht an seiner Schulter. Trotz all der Zeit, die vergangen war, spürte er, wie ihm die körperliche Nähe zu ihr einen schmerzhaften Stich ins Herz versetzte. Dennoch ließ er sie nicht los. Er war der einzige Halt, den sie in dieser schrecklichen Situation noch hatte.
Es klopfte an der Tür.
Vigniers Kopf ruckte herum. Er wirkte wie ein gereiztes Tier. Die Ereignisse hatten ihn schlichtweg überschnappen lassen.
»Ja?«, fragte er barsch.
»Robin hier«, antwortete ihm die Stimme des Chefinspektors durch die geschlossene Tür. »Lassen Sie die Geiseln frei!«
Vignier lachte hart auf. »Was für eine Sicherheit habe ich dann noch, dass ihre Männer mich nicht umlegen?«
Selbst durch die Tür konnte man das Schnauben Robins vernehmen. »Wir sind hier nicht im Wilden Westen, Mann«, entgegnete er. »Sagen Sie schon, was Sie wollen! Was bezwecken Sie mit der Nummer?«
Undeutlich war die beschwichtigende Stimme einer Frau im Hintergrund zu hören, dann fuhr Robin etwas ruhiger fort: »Wir sind hier, um Sie zu schützen. Zu Panikreaktionen besteht überhaupt kein Anlass!«
Vignier ließ die Waffe ein Stückchen sinken, ohne jedoch seine Geiseln aus den Augen zu lassen. Er schien zu überlegen. Offenbar hatte er sich nie wirklich Gedanken gemacht, was er mit seiner überstürzten Aktion eigentlich bezweckte.
»Ich will…«, stammelte er, »ich will einen Hubschrauber, der mich so weit wie möglich weg von hier bringt.«
»Niemand kommt hier an Sie heran. Sie sind völlig sicher«, beschwichtigte Robin weiter und versuchte seine Stimme möglichst beruhigend klingen zu lassen.
Damit bewirkte er genau das Gegenteil. Vigniers Waffe ruckte wieder hoch. Als er antwortete, überschlug sich seine Stimme: »Erzählen Sie keinen Blödsinn! Wir sitzen doch hier wie Ratten in der Falle. Ich habe gesehen, was draußen abgelaufen ist!«
Wieder war undeutlich die Stimme der Frau zu hören. Corbiere glaubte die Assistentin des Parapsychologen zu erkennen, der sich am Nachmittag eingehend mit ihnen
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