0808 - Das unheimliche Herz
konnte sie nicht mehr, deshalb wollte sie kriechend die Tür erreichen. Vielleicht konnte sie mit den Fäusten dagegen hämmern, sie wollte auch schreien, auf sich aufmerksam machen, aber viel Hoffnung hatte sie nicht.
Es gelang ihr nicht einmal, sich aufzustemmen. Wenn sie sich bewegte, musste sie wie eine Schlange über den Boden kriechen, und auch das schaffte sie nicht.
Die Masse auf ihrem Rücken war einfach zu groß und auch zu schwer. Zudem warf sie bereits einen Schatten. So weit und breit hatte sie sich bereits aufgefüllt. Wenn Kiki die Augen verdrehte, dann sah sie den zuckenden Schatten, denn er spiegelte genau das wider, was die Masse auf ihrem Rücken tat.
Sie hing bereits über. Kiki spürte den Druck längst an ihren Oberschenkeln, und er war auch auf ihren Hals zugewandert. Irgendwann würde er sie ganz umschlingen und sie durch eine unerklärlich starke Kraft auch zerdrücken.
Sie weinte.
Es waren die ersten richtigen Tränen, die sie vergoss. Und sie dachte dabei an einen Mann. Plötzlich stieg sein Bild vor ihren Augen hoch. Es war ein Schwarzer, ein Mann, der bei der Polizei arbeitete und in seiner knappen Freizeit sich sozial betätigte. Er hatte zu Kiki Kontakt gefunden und immer wieder versucht, sie auf den normalen Weg zu bringen, weil sie auf der Kippe stand und Gefahr lief, völlig in die Drogenszene abzurutschen.
Was hatte dieser Mensch nur für eine Geduld mit ihr gehabt. Angeschrien hatte sie ihn. Er sollte aus ihrem Leben verschwinden, aber er war nicht gegangen, sondern geblieben und hatte sich die Mühe gemacht, mit ihr zu reden.
Kiki wunderte sich selbst darüber, dass sie zugehört hatte. Und plötzlich war alles anders gewesen. Auf einmal spürte sie, dass ihr dieser Mann – ein Bulle – etwas bedeutete, und sie merkte auch, dass sie ihm ebenfalls nicht gleichgültig war.
Über den Begriff Liebe hatte sie bisher immer gelacht. Das war nun vorbei.
Es gab die Liebe.
Es gab das Vertrauen, dieses Band zwischen zwei Menschen. Da konnte sich der eine auf den anderen verlassen, und die falschen Freundschaften in dieser oft so feindlichen Welt waren für Kiki in Vergessenheit geraten.
Weg von dem Gift!
Crane hatte sie darum gebeten, sie angefleht, er hatte ihr Menschen gezeigt, die vom Rauschgift kaputtgemacht worden waren und nur mehr als Horror-Gestalten dahinvegetierten. Und er hatte sie getröstet, als sie bei diesem schrecklichen Anblick zusammengebrochen war.
Ja – und dann war sie entführt worden.
Überfallartig, mitten in der Nacht, und sie hatte sich keinen Grund dafür vorstellen können. Bis jetzt nicht, aber ihr wurde allmählich klar, dass die Entführung mit dem Verhältnis zu ihrem Freund Bob Crane zu tun hatte.
Wollte man ihn erpressen?
Leben!
Kikis gedankliche Erinnerungsfetzen brachen ab. Sie hatte etwas gehört, es war eine Stimme gewesen und gleichzeitig nur ein Gedanke oder eine Botschaft.
Leben – ahhh.
Ein Stöhnen in ihrem Kopf.
Dann wieder dieser harte, wummernde Herzschlag, brutal und zerstörerisch.
Du bist Leben!
Ein dritter Kontakt.
Plötzlich wusste Kiki Bescheid. Jetzt war ihr klar, wer sich da gemeldet hatte.
Das Herz auf ihrem Rücken!
***
Wir wohnten, wie man so schön sagt, inmitten der Szene. In einem alten Stadtteil von Baton Rouge, der mir sehr französisch vorkam, und in dem auch noch die Kolonialbauten und prächtigen Bürgerhäuser mit den Säulenportalen standen, wobei manche von ihnen blumenumkränzt waren und die warme Luft mit ihrem betörenden Duft verzauberten.
Unser Hotel lag in einem kleinen Garten. Auch dieser Bau gehörte eigentlich in die Vergangenheit, doch er war gut erhalten und vor allen Dingen in seinem Innern renoviert worden. Großzügige Zimmer mit herrlichen Balkonen, die allesamt zum größeren, hinteren Teil des Parks hinausführten, ließen das Herz des Gastes höher schlagen.
Unsere Herzen leider nicht.
Zu viele Probleme lasteten auf unseren Schultern. Es war uns auch nicht leicht gefallen, den Plan zu ändern und zuerst dem Hotel einen Besuch abzustatten, doch irgendwann muss man einmal an sich selbst denken. So schmutzig und zerschlagen wie wir waren, konnten wir uns, ohne aufzufallen, kaum bewegen.
Von Bob Crane hatten wir uns getrennt. Er war zu seiner Dienststelle gefahren, um dort zu recherchieren. Zudem wollte er sich auch frisch machen.
Beim Abschied von uns stand ihm auch die Sorge um Kiki Lafitte im Gesicht geschrieben.
Man schaute schon etwas indigniert aus der Wäsche, als wir
Weitere Kostenlose Bücher