081 - Lady Frankenstein
aus den . alten Büchern manches medizinische
Wissen angeeignet hatte, kannte sich sehr gut aus.
„Ja, es ist
bald soweit, Miguel.“
Sein Gesicht
rötete sich. „Ich vertraue auf Sie, ich gebe mich ganz in Ihre Hand. Auch wenn
es mißlingen sollte, lassen Sie mich nicht im Stich, versprechen Sie mir das, Doña Carmen?“
„Ich
verspreche es dir.“
„Ich möchte
nicht sterben. Der Tod ist etwas so Furchtbares, Absolutes, Endgültiges. Auch
wenn mein Körper versagt - mein Kopf
ist noch da, vergessen Sie das nicht! Ich kann sehen, riechen, hören, fühlen,
sprechen. Alles, was das Leben lebenswert macht. Ich brauche keinen Körper, ich
kann darauf verzichten, wenn es schiefgeht. Bewahren Sie mich auf in einem
dieser Behälter, erhalten Sie meinen Kopf am Leben! Damit bin ich schon
zufrieden, wenn alles andere versagt. Ich kenne die Umgebung hier, ich bin ein
Teil dieser Welt geworden. Ich kann leben in einem Behälter, kann Ihnen
zusehen, mit Ihnen sprechen.“
Er war nervös
und aufgeregt. Die Angst vor dem Tod, vor der „ Engültigkeit “,
wie er sich ausgedrückt hatte, bestimmte ganz sein Denken und Handeln.
„Es wird
nichts schiefgehen“, antwortete ihm Lady Frankenstein. „Ich habe dir einen
neuen Körper versprochen, und du wirst diesen neuen Körper bekommen! Es gab
noch keinen geeigneten Spender. Das hat sich jetzt geändert. Es gibt jemand,
der seinen Körper nicht mehr braucht.“
„Ein Mann,
der bald sterben wird, dem niemand mehr helfen kann?“
„So ist es,
Miguel.“
Der Gelähmte
brachte mit Schwung seine Rechte nach vorn, versuchte nach der Hand der Frau zu
greifen und einen Kuß darauf zu hauchen.
Doch seine
Kraft reichte nicht aus.
Die Hand
sackte nach unten ab.
Dona Carmen nahm
sie und legte sie wieder auf die Lehne des Rollstuhls, wo Miguel mit
zitternden, schweißnassen Fingern den Schaltkasten umklammerte.
„Danke, Dona Carmen“, murmelte Estanbo .
„Haben Sie Dank für alles, was Sie für mich getan haben und tun werden!“
Lady
Frankenstein lächelte geheimnisvoll.
Der Kranke
atmete tief durch. „Wann?“ fragte er, „wann werden Sie es tun?“
„Heute ist
Mittwoch. Spätestens Samstag operieren wir.“
Der Kranke
dachte an seinen Körper. Lady Frankenstein dachte an Mord!
Aber davon
ahnte Miguel Estanbo nichts.
Auf dem
gleichen Weg, wie sie in das geheimnisvolle Kellerlabor gekommen war, verließ
die Lady das unheimliche Reich wieder.
Die Tür
schloß sich lautlos.
Normalerweise
pflegte sie sich länger hier unten aufzuhalten. Meistens unterhielt sie sich
sehr lange mit Miguel, um seine Spracheigenschaften zu kontrollieren. Miguel
selbst hatte die Möglichkeit, seine guten Fortschritte mit einem Bandgerät zu
kontrollieren, das ihm unten im Labor zur Verfügung stand.
Es gab keinen
Zweifel: Die geistigen Fähigkeiten des ehemaligen Dieners nahmen von Tag zu Tag
zu, während sein Körper immer mehr verfiel. Es schien, als stelle sich sein
Organismus unbewußt schon auf das ein, was ihn erwartete: eine reine
Gehirnexistenz zu sein, den Körper als etwas Unwichtiges zu betrachten.
Manchmal kam es Carmen Mojales so vor, als wolle
Miguel gar keinen neuen Körper.
Das Phänomen
beschäftigte sie.
Dona Carmen
verließ fünf Minuten später ihr Zimmer, durchquerte die großzügig eingerichtete
Diele und näherte sich der Küche.
Dort erfuhr
sie, daß in einer dreiviertel Stunde alles fertig sein würde.
Mit dem
Küchenmädchen und der Köchin ein paar Worte wechselnd, ließ sie sich eine
Kostprobe geben, zeigte sich zufrieden und machte sich dann auf den Weg zum
Zimmer ihrer Tochter.
Dort hinter
geschlossener Tür vernahm sie leise, rhythmische Gitarrenmusik.
Maria-Rosa
spielte auf diesem Instrument recht gut. Sie war eine beachtliche Interpretin
alter spanischer Tänze.
Dona Carmen
lauschte eine Minute lang den reinen, sauberen Klängen und klopfte dann an.
Niemand antwortete. Offenbar war Maria-Rosa so sehr in ihr Spiel vertieft, daß
sie alles um sich herum vergaß.
Carmen Mojales drückte die Klinke herab und trat ein.
In dem
freundlich eingerichteten Zimmer war keine gitarrenspielende Maria-Rosa zu
entdecken. Dafür lief ein Kassettentonbandgerät mit dieser Musik.
Es war ein
Band, das Maria-Rosa bespielt hatte.
Wahrscheinlich,
um ihre eigene Technik zu überprüfen.
„Maria-Rosa?“
fragte Dona Carmen leise. Sie näherte sich der
halboffenen Balkontür, warf einen Blick hinaus und stellte fest, daß Maria-Rosa
auch dort nicht war.
Es
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