0810 - Der Geist des Hexers
dumpfes Geräusch, vergleichbar mit einem unheimlich klingenden Pochen.
Wie bei einem Herzschlag.
Plötzlich fror er. Gleichzeitig jedoch wusste er auch, welchen Weg er gehen würde…
***
Träumte ich oder was?
Stand ich in der Realität? War ich weggeschwemmt worden? Ich hatte keine Ahnung, es war alles so anders oder fremd geworden, und ich kam damit nicht zurecht.
Es waren zwei Mittelpunkte. Der eine – Henry St. Clair – stark, der andere – ich – schwach.
Ich konnte mich einfach nicht wehren, das Vergangene, das andere war wie ein Rausch über mich gekommen und hatte mich dabei in den Mittelpunkt gestellt.
Aber all diese Eindrücke wurden übertönt von den wuchtigen Schlägen des Riesenherzens, in dem Kiki Lafitte steckte. Deren Gesicht war von den Qualen gezeichnet, die hinter ihr lagen. Ich war erschienen und hatte für einen Moment Hoffnung gegeben. Nun musste ich feststellen, dass diese Hoffnung vergebens war, und ich hätte mich gern bei Kiki entschuldigt, auch das war nicht möglich, weil ich einfach nicht in der Lage war zu agieren. Ich stand wie angenagelt auf dem Fleck. Etwas anderes hatte kurzerhand die Kontrolle übernommen, wobei ich auch nicht wusste, weshalb es gerade mich erwischt hatte.
Sollte es an meinem Kreuz liegen? An meinem Namen? Gab es da trotz allem noch eine Verbindung, die bis tief hinein in die Vergangenheit reichte, einige hundert Jahre zurück?
Eine Antwort konnte ich nicht geben, ich hing hier einfach fest und bewegte mich nicht.
Aber das Herz.
Es zog sich zusammen, es dehnte sich aus, und mit jedem Schlag veränderte sich auch etwas bei mir. Es erschienen seltsame Bilder, die normale Umgebung verschwamm.
Wie von Geisterhänden geführt, wichen die Wände des Verstecks zur Seite. Sie öffneten sich, als wollten sie einer unheimlichen, fremden Landschaft den nötigen Platz verschaffen, und ich war es, der in diese Landschaft eintauchte, obwohl ich im Prinzip daran nicht beteiligt war. Ich er- und durchlebte keine Zeitreise am eigenen Körper, aber ich sah trotzdem alles, was in diesen vergangenen Jahren mit meinem »Ahnherrn« Henry St. Clair geschehen und welchen falschen Weg erzum Schluss gegangen war. Ich erlebte seinen Pakt mit Baphomet!
***
Vergangenheit
Henry St. Clair wusste, dass er nicht mehr lange reiten konnte. Sein Pferd war einfach zu schwach, und er hatte es versäumt, ein zweites mitzunehmen.
Es war ein verdammt heißer Tag gewesen. Es hatte St. Clair in den Süden getrieben, wo die Hitze noch schlimmer war, sich unendliche weite Sümpfe ausbreiteten, unzählige Insekten lebten, zusammen mit gefräßigen Raubtieren, und wo die Menschen sich hinzugehen weigerten. Selbst die Einheimischen hielten sich zurück.
Mit Wehmut dachte St. Clair an die Rüstung, die er in seiner Heimat getragen hatte. Hier hatte er auf sie verzichtet, in der drückenden Hitze hätte er sie nicht gebrauchen können. Sie wäre ihm hinderlich gewesen, in ihr hätte er sich kaum bewegen können.
Deshalb trug er nur eine Hose, ein Hemd und einen flachen Hut zum Schutz gegen die Sonne.
St. Clair suchte nach einem Platz, wo er rasten konnte. Er war sehr vorsichtig, sein Schwert hielt er in der rechten Hand. Die Klinge schleifte durch das hohe Gras, und das Tier bewegte sich mit müden Beinen voran. Es hielt den Kopf gesenkt, Schaum stand vor seinem Maul. Bei jedem Atemzug hörte der Reiter ein Rasseln, als wollten die Lungen des Tieres im nächsten Moment auseinander platzen.
Als es durch einen schmalen Bachlauf geplatscht war und in den Vorderläufen einknickte, wusste der Reiter, dass er abspringen musste. Er tat es mit einer geschmeidigen Bewegung. In seiner alten Heimat hatte er zu den besten Reitern gehört und so manches Turnier gewonnen. Neben dem Pferd blieb er stehen, klopfte ihm gegen die rechte Flanke und hatte dabei das Gefühl, als würde es durch diese Berührung schon zusammenbrechen, was nicht eintraf, denn es drehte sich herum und bewegte sich auf den schmalen Bachlauf zu, um zu trinken.
St. Clair ließ das Tier in Ruhe. Er wusste, dass er darauf angewiesen war. Von Schottland aus hatte es ihn begleitet, und auch er sank zu Boden. Erschöpft und ausgelaugt, müde, er brauchte einfach eine Pause. Als er sich zurücklehnte, gaben die weichen Zweige eines mit fremden Blüten bedeckten Busches nach. Automatisch schloss er die Augen. Er musste einfach schlafen, nur befand er sich in einer Lage, die dies unmöglich machte. Zu viel strömte ihm durch den Kopf,
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