0810 - Der Geist des Hexers
anderen Rhythmus an. Sehr heftig und kurz hintereinander folgten die Schläge. Sie hörten sich an wie ein dumpfes Trommeln, und jedes Echo füllte das Verlies bis in sein hinterstes Ende aus.
Das Trommeln blieb.
Schnell, hektisch…
Wie kurz vor einem Infarkt.
Und auch die Haltung der Gefangenen veränderte sich. Sie geriet durch die schnellen Schläge in ebenfalls zuckende Bewegungen. Da ihr Mund nochimmer offen stand, schlugen die Zähne aufeinander, so dass ein klappernder Rhythmus entstand.
Eine Bewegung lenkte mich ab.
Ich staunte nicht schlecht, denn ich sah, dass sich das Kreuz plötzlich bewegte.
Es lag noch immer auf dem Boden. So wie es sich drehte, sah es aus, als wollte es einen Kreis bilden.
Nein, nur eine Vierteldrehung, dann lag es wieder ruhig. Seine Spitze aber, in die der Buchstabe M eingraviert war, zeigte in eine bestimmte Richtung, als läge dort etwas Bestimmtes in der Finsternis verborgen. Etwas unsagbar Böses, gegen das selbst das Kreuz nicht mehr ankam.
Ich kam damit nicht mehr zurecht, aber ich merkte, wie ich allmählich anfing zu frieren.
Ein Zeichen, dass ich es ebenfalls spürte. Dort musste etwas lauern, das stärker als mein Kreuz war.
Aber was konnte das sein…?
***
Das Vermächtnis der Schlange hatte nicht nur gewonnen, es hatte auch überlebt.
Nichts hatte es stoppen können, und es bewegte sich mit zu ihm passenden, schlängelnden Bewegungen über den Grund des dunklen und verlassenen Rummelplatzes.
Es war noch blutbefleckt, aber das machte ihm nichts aus, solange es das Blut eines Feindes war. Es hätte diesen Feind gern getötet, er aber war schneller gewesen, und so hatte das Kreuz mit der Schlange weiterwandern müssen.
Der Einstieg in die Unterwelt war gefunden.
Ein idealer Ort, um die Magie endlich wirksam werden lassen zu können.
Die Schlange und das menschliche Herz sollten endlich zu einem Symbol des Bösen und der schwarzmagischen Macht werden. Was vor sehr langer Zeit seinen Anfang genommen und von dem Hexer Aleister Crowley weitergeführt worden war, konnte nun endlich vollendet werden. Wunderbar im Sinne der Hölle. Es würde zwar nicht der ganz große Sieg werden, den sich Luzifer nach seiner gewaltigen Niederlage zu Beginn der Zeiten gewünscht hatte, doch einen Teilerfolg konnten die Mächte des Bösen schon erringen.
Es fand seinen Weg.
Es glitt tiefer.
Es bohrte sich durch den Boden, es war von keinem Hindernis mehr aufzuhalten, und es hinterließ eine Aura des Grauens. Es kroch durch die finsteren Kanäle der ehemaligen Geisterbahn, immer das Ziel in seiner Nähe wissend.
Immer dichter kam es heran.
Es hörte bereits den Herzschlag. Für das Kreuz war es die Botschaft des Bösen, und es bewegte sich im selben Rhythmus weiter, wie das Herz schlug.
Zuckend, sich vorbeugend, schnell, dann wieder langsam, immer mehr dem Ziel entgegen.
Das Herz und der Mensch!
Nichts konnte es jetzt noch stoppen, erst recht kein Mensch, denn das Ziel lag fest.
Bis es plötzlich anhielt!
Ruckartig, da wirkte die Bewegung wie abgeschnitten. Es hatte sich über den Untergrund erhoben gehabt, war dann wieder zusammengesackt und lag still, wobei selbst der Schlangenkörper sich nicht mehr rührte. Er hatte sich zusammengeklumpt, war beinahe in das Kreuz hineingekrochen und rührte sich nicht von der Stelle.
Lauern, lauschen…
So ähnlich musste es dem Kreuz ergehen, das sich nach einer Weile wieder bewegte. Aus dem Mittelpunkt richtete sich der Körper der Schlange auf, obwohl sie mehr ein mutiertes Wesen war, denn Schlangen haben nicht das Maul eines Krokodils.
Das Schlangenkreuz »überlegte«. Manchmal glitt ein Zucken durch den schuppigen Körper, dann richtete sich das Wesen wieder auf. Weit hatte es das Maul aufgerissen, aus dem zischender und gleichzeitig stinkender Qualm drang.
Das Ziel lag nahe, so nahe…
Doch sie wartete.
Worauf, warum?
Tatsächlich überlegte die Mutation. Sie hatte etwas gespürt. Die in ihr vereinte Macht des Bösen wehrte sich gegen etwas, das in ihrer Nähe lauerte. Es war eine Kraft, das stimmte, aber es war gleichzeitig auch eine Macht, die sie besiegt zu haben geglaubt hatte.
Jetzt war sie da.
Etwas Fremdes hatte sich in ihre Umgebung geschlichen. Das Zischen nahm an Aggressivität zu. Erinnerungen strömten in ihr hoch.
Plötzlich tauchte etwas auf, das sie schon längst besiegt hatte. Der alte Kampf, die erste große Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse. Das Böse hatte verloren, aber es hatte sich
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