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0813 - Der Schrecken vom Mekong-Delta

0813 - Der Schrecken vom Mekong-Delta

Titel: 0813 - Der Schrecken vom Mekong-Delta Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Balzer
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Lüge zu leben, zu der die Existenz der Neun Drachen verkommen ist , dachte Chin-Li, aber sie sagte nichts.
    »Aber wir haben nicht vergessen, dass du uns in all den Jahren eine treue Dienerin warst«, fuhr Meister Shiu etwas müder fort. »Die Bruderschaft ist bereit, dir dein ungeheuerliches Sakrileg zu verzeihen und dich wieder in unsere heilige Gemeinschaft aufzunehmen.«
    Chin-Li hatte sich vor diesem Moment gefürchtet. Verzweifelt versuchte die Kriegerin, ihre widerstrebenden Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Sie wusste, dass die nächsten Sekunden über Leben oder Tod entscheiden konnten. Dann sagte sie so ruhig wie möglich: »Nein. Das geht nicht. Diese Tür ist für mich verschlossen, ein für allemal.«
    Aus den Augenwinkeln bemerkte Chin-Li, wie sich bei den anderen Mönchen Unruhe breit machte. Aber Meister Shiu hatte mit dieser Antwort offenbar gerechnet. Nach all den Jahren kannte er sie immer noch am besten.
    »Gut, wie du willst, Chin-Li. Es ist deine Entscheidung. Dann wirst du weiterhin damit rechnen müssen, dass wir dich eines Tages für deinen Verrat zur Rechenschaft ziehen.«
    »Ich kann damit leben…«
    »Aber wir erkennen deinen Mut an, hierher zu kommen und dich ganz unserer Gnade zu überantworten«, fuhr Meister Shiu ungerührt fort. »Und wir haben auch nicht vergessen, dass es auch deinem mutigen Eingreifen zu verdanken ist, dass Hongkong damals nicht vollständig zerstört wurde. Die Neun Drachen sind gnadenlos zu ihren Feinden, aber sie wissen auch, wenn sie eine Schuld zurückzuzahlen haben. Du hast eine Bitte - und wir werden sie dir erfüllen.«
    Wieder bemerkte Chin-Li die Nervosität der anderen Greise. Offenbar waren nicht alle Mönche gleichermaßen bereit, sich ihrer ehemaligen Dienerin verpflichtet zu fühlen.
    »Steh auf, Chin-Li!«
    Die junge Chinesin gehorchte. Den Kopf hielt sie immer noch leicht gesenkt. Mit würdevollen Schritten trat Meister Shiu vor und deutete mit einer huldvollen Geste auf die Ecke links neben dem mit dem Drachen verzierten Wandbehang.
    Im Schatten des gespenstischen Lichts der Fackeln verborgen, befand sich eine unauffällige Tür, die direkt in die Geheimbibliothek des Ordens führte. Die anderen acht Mönche blieben zurück, als Meister Shiu die Ex-Killerin in die Bibliothek begleitete. Über einen Vorraum und eine kleine Treppe gelangten sie in ein kleines Labyrinth aus Kellerräumen, in denen abertausende Schriftrollen, Bücher und einzelne Papiere untergebracht waren.
    Chin-Li war früher oft hier gewesen, um etwas über die Geschichte Tin Haus und der Neun Drachen zu erfahren. Natürlich hatte sie nur Zugang zu einem winzigen Teil der kostbaren Schriften erhalten. Die meisten Dokumente standen nur den neun Oberhäuptern des Ordens selbst zur Verfügung.
    »Wonach suchst du, Chin-Li?«, fragte Meister Shiu.
    Die junge Chinesin sagte es ihm. Ein sonderbares Lächeln umspielte das faltige Gesicht des Mönchs. »Wusstest du eigentlich, dass der Mekong auch Neun-Drachen-Fluss genannt wird?« [4]
    Chin-Li sah Meister Shiu verwirrt an. »Ich hatte das immer für einen Zufall gehalten.«
    Die eisgrauen Augen des Alten blitzten vergnügt. »Es gibt keine Zufälle, Chin-Li.«
    ***
    Saigon
    Zwei Stunden später saßen sie in einem fast ausschließlich von Einheimischen besuchten Restaurant in Saigon, das trotz der späten Stunde noch geöffnet hatte. Zamorra wäre gern noch vor Ort geblieben, um die Zombie-Attacke weiter zu untersuchen, aber mit Rücksicht auf Phuong hatten sie eine kleine Unterbrechung beschlossen.
    Nach den Ereignissen der letzten Stunden schien Saigon in einem anderen Universum zu liegen. Das Restaurant befand sich im Erdgeschoss eines alten Gebäudes aus der Kolonialzeit, das schon deutlich bessere Zeiten gesehen hatte. Jetzt versprühte es den diskreten Charme des schleichenden Verfalls. Ein riesiger Ventilator unter der Decke verteilte träge die stickige Luft und sorgte zumindest für ein bisschen Abkühlung. Von den Menschen, die um sie herum aßen, schwatzten und lachten, war kaum einer über dreißig.
    Phuong war immer noch kalkweiß. Lustlos kaute sie auf ihrem gegrillten Fisch herum. Der Schrecken hatte sich in ihrem Gesicht tief eingegraben. Zamorra wusste, dass die junge Frau den Horror dieser Nacht nie vergessen würde. Wenn sie Glück hatte, würde er irgendwann zumindest etwas verblassen. Wie ein besonders intensiver Albtraum.
    »Sie haben so etwas schon einmal erlebt, oder?«, fragte Phuong nach einer

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