0813 - Der Schrecken vom Mekong-Delta
Weile.
Nicole nickte. »Schon viele Male. Leider.«
Die Tourismusexpertin nickte und aß stumm weiter. Dann ließ sie die Stäbchen auf den Teller fallen.
»Wie kann das sein?«, fragte sie mit tränenerstickter Stimme. »Wie kann… so etwas existieren?«
Nicole nahm die junge Vietnamesin in den Arm und streichelte sanft ihre Schulter. Einige der anderen Gäste sahen neugierig herüber, aber die Dämonenjägerin beachtete sie gar nicht. »Es ist gut. Lassen Sie es raus!«, flüsterte Nicole.
Phuong weinte eine Weile still vor sich hin. Dann setzte sie sich entschlossen auf, schnäuzte sich die Nase und sagte bewusst sachlich: »Wir müssen Thanhs Vorgesetzten Bescheid sagen.«
»Damit sollten wir warten«, sagte Zamorra.
»Aber das geht nicht!« Phuong starrte den Dämonenjäger entsetzt an. »Thanh ist ein Angehöriger der Armee. Seinen Tod nicht zu melden, wäre ein Verbrechen. Fast so schlimm wie Hochverrat.«
»Wir wissen nicht, ob er tot ist.«
»Haben Sie daran etwa irgendeinen Zweifel?«
»Nein«, gestand Zamorra. »Aber das müssen wir seinen Vorgesetzten ja nicht auf die Nase binden. Wenn wir seinen Tod jetzt melden, ist das Delta in kürzester Zeit von schießwütigen Militärs überschwemmt. Aber die Art von Kreaturen, mit denen wir es zu tun haben, kann man damit nicht beeindrucken. Im Gegenteil. Vielleicht werden wir sie damit nur provozieren. Wir haben größere Chancen, wenn wir allein vorgehen.«
Phuong sah hilflos Nicole an, doch die Dämonenjägerin nickte. »Er hat Recht, Phuong. Allein haben wir sehr viel größere Chancen, diese Kreaturen zu besiegen, als wenn wir mit einer ganzen Armee durch die Gegend stapfen.«
Die junge Tourismusexpertin wollte protestieren, doch dann nickte sie. »Sie kennen sich mit solchen Sachen besser aus als die. Wir machen es so, wie Sie sagen.«
Mit einem gezwungenen Lächeln nahm die Vietnamesin ihre Stäbchen wieder auf und aß weiter.
Zamorra nahm einen weiteren Schluck von seinem Bier. Er hatte keine Ahnung, warum das wohlschmeckende Gebräu ausgerechnet auf den Namen »333« hörte, aber die einheimische Marke musste sich hinter westlichen Produkten nicht verstecken.
Während Phuong schweigend weiteraß, ließ Zamorra seinen Blick durch den Raum schweifen. Fasziniert beobachtete der Parapsychologe, wie der kaum zwanzigjährige Kellner eine offenbar gerade erst getötete Schildkröte an den Nachbartisch brachte, wo er unter großem Gejohle von fünf gleichaltrigen Jungen empfangen wurde. Mit großer Geste stellte der Kellner eine Art Messbecher auf einen freien Stuhl. In dem durchsichtigen Gefäß schwappte etwa ein Viertelliter einer klaren Flüssigkeit. Schnaps, wie Zamorra vermutete.
Der junge Mann vergewisserte sich, dass er die ungeteilte Aufmerksamkeit der anderen hatte, dann holte er ein Messer hervor und schnitt der Schildkröte den Hals auf. In einem breiten Strahl schoss das Blut des toten Tieres in den Becher, bis es sich mit der klaren Flüssigkeit etwa im Verhältnis eins zu eins gemischt hatte. Der Kellner rührte das Gemisch noch einmal um, bevor er es auf fünf Schnapsgläser verteilte.
Mit Todesverachtung griffen sich die jungen Männer am Tisch jeder ein Glas, prosteten sich zu und tranken. Ihren leicht angewiderten Gesichtern war deutlich anzusehen, dass das obskure Gemisch reichlich widerwärtig schmecken musste. Doch keiner von ihnen hätte es gewagt, bei dieser Mutprobe klein beizugeben.
»Schildkrötenblut. Es soll Männern Kraft und Ausdauer geben beim… Sie wissen schon«, sagte Phuong, die Zamorras Interesse an dem Ritual bemerkt hatte.
»Oh, dann solltest du das vielleicht auch mal versuchen. Schließlich kommst du langsam in die Jahre«, stichelte Nicole.
»Was? Das wirst du heute Nacht büßen. Du wirst noch an meine Schlafzimmertür kratzen.«
Verwirrt sah Phuong von einem zum anderen. So lockere Frotzeleien war die Vietnamesin scheinbar nicht gewohnt.
»Pöh!«, machte Nicole. »Saigon wird ja noch andere gut aussehende Männer zu bieten haben. Männer, die kein Blut schlürfen müssen, um in die Gänge zu kommen!«
Zamorra wollte etwas entgegnen, doch dann sackte ihm die Kinnlade runter. »Blut…«, flüsterte er. Wie hatte er das übersehen können? »Wir haben nirgendwo Blut gefunden. Die Stelle, an der Thanh verschwunden ist, war völlig unbefleckt. Selbst die Unfallstelle war wie frisch gewienert, obwohl einige der Arbeiter regelrecht zerrissen wurden.«
»Es ist alles voller Blut«, flüsterte
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