0813 - Der Schrecken vom Mekong-Delta
Phuong.
»Was?«, fragte Nicole irritiert.
»Es ist alles voller Blut. Das hat der Arbeiter gestammelt, der das nächste Krankenhaus angerufen hat. Ich habe es in einem Bericht gelesen.«
»Aber wir haben kein Blut gesehen. Zumindest ein paar eingetrocknete Flecken hätte noch da sein müssen. Also muss es jemand entfernt haben. Und wer braucht Blut?«
»Vampire«, antwortete Nicole. »Aber wir haben es hier mit Zombies zu tun. Die gönnen sich höchstens mal ’nen Happen Menschenfleisch. An Blut haben sie in der Regel kein besonderes Interesse.«
»Dann haben sie offenbar die Spielregeln verändert. Oder…«
»… wir haben unseren eigentlichen Gegner noch gar nicht gesehen«, beendete Nicole den Satz. »Vielleicht sind unsere Fledderfreunde nur das, was die meisten von ihnen in ihrem früheren Leben auch waren - Soldaten.«
Verwirrt starrte Phuong die beiden Dämonenjäger an. »Sie meinen, es gibt noch andere Wesen da draußen?«
»Möglicherweise. Das müssen wir herausfinden«, meinte Nicole.
»Phuong, Sie sind im Delta aufgewachsen. Kennen Sie jemanden, der uns etwas über die alten Zeiten sagen kann - aus der Zeit vor dem Krieg?«
Die junge-Vietnamesin überlegte keine Sekunde. »Meine Großmutter. Sie ist schon sehr alt, aber ihr Geist strahlt immer noch hell. Sie lebt bei der Familie meines Bruders.«
Zamorra nickte. »Gut, dann fahren wir morgen zu ihr. Jetzt sollten wir uns eine ordentliche Mütze Schlaf gönnen. Morgen wird ein harter Tag.«
Mit einem großen Schluck leerte er sein Glas. Auch die jungen Männer am Nebentisch waren wieder auf Bier umgestiegen. Offenbar war frisches Blut auf Dauer doch nicht nach ihrem Geschmack.
***
Vor der südvietnamesischen Küste
Chin-Li lachte auf, als die raue Meeresluft ihr heftig ins Gesicht blies. In Momenten wie diesen fühlte sie sich mit den Elementen eins. Die Last des täglichen Lebens fiel von ihr ab, und sie war frei.
Die junge Chinesin raste mit einem kleinen Schnellboot auf die vietnamesische Küste zu. Den Patrouillen der Küstenwachen zu entgehen, war eine gute Übung gewesen, der Rest würde im Vergleich das reinste Kinderspiel sein.
Chin-Li warf einen kurzen Blick auf die von den Leuchtanzeigen der Armaturen schwäch beleuchtete Karte und korrigierte minimal den Kurs. Ihr Ziel war eine unbewohnte, stark bewaldete Bucht nahe Vung Tau.
Die Informanten der Neun Drachen hatten sich nicht geirrt. Unberührt lag die Küste vor ihr, als sich Chin-Li mit gedrosseltem Motor durch bizarre Felsformationen dem schmalen Strand näherte. Bald wird es hier auch vor Hotels und bierbäuchigen Ausländern nur so wimmeln, dachte die Ex-Killerin angewidert. Doch im Gegensatz zu Ländern wie Thailand hatte die Tourismusindustrie Vietnam noch nicht völlig ihren Bedürfnissen unterworfen.
So bemerkte niemand, wie die junge Chinesin im Schutze der Dunkelheit an Land ging, das Boot über den flachen Strand zog und im angrenzenden Wäldchen schnell entlud. Dann bedeckte sie es mit Ästen und Laub, damit es von zufälligen Strandbesuchern nicht sofort entdeckt werden konnte. Vielleicht würde sie es noch einmal brauchen.
Schnell streifte Chin-Li ihren schwarzen Overall ab und schlüpfte in eine schlichte, aber elegante helle Hose und ein weißes Seidenhemd. In einem Spezialgürtel hatte sie ein paar tausend US-Dollar in kleinen Scheinen, eine ebenso große Summe in vietnamesischen Dong sowie mehrere Ersatzmagazine versteckt. Die Beretta steckte sie in den Gürtel, dann zog sie das Hemd darüber, das weit genug war, um die Waffe zu kaschieren. Der traditionelle Spitzhut und ellenlange Handschuhe vervollständigten das Outfit.
Dann widmete sich Chin-Li dem wichtigsten Utensil, das sie mitgebracht hatte, einem Moped, so wie es in Vietnam millionenfach im Einsatz war.
Das Aufheulen des Motors zerriss die nächtliche Stille, doch es gab niemanden, der sich daran störte.
Als der Morgen anbrach, hatte Chin-Li die ersten Ausläufer von Saigon erreicht, die wie Tentakel aus Beton weit ins Umland hineinragten. Bald war sie nur eine von tausenden jungen Männern und Frauen, die die Straßen der südlichen Metropole verstopften. Ihr Ziel war der im Westen gelegene Stadtbezirk Nr. 5, Cho Lon, auch bekannt als Saigons Chinatown. Wie in fast allen großen Metropolen dieser Welt war der chinesische Bezirk auch in Ho-Chi-Minh-Stadt das lebendigste und unübersichtlichste Viertel der ganzen Stadt. Niedrige Wohn-Geschäftshäuser und bunte Tempel drängten sich neben
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