0815 - Die Schlangenschwester
Begierden und Instinkten überwältigt worden, und ihr Körper hatte sich blitzartig verwandelt.
Die Schlange jedoch bewirkte etwas ganz anderes. Sandrines Bewusstsein blieb vollkommen klar. Sie konnte genau beobachten, was mit ihrem Körper vor sich ging. Das heißt, sie konnte es innerlich spüren - ihr Blick vermochte die Schwärze nicht zu durchdringen.
Oder war es gar nicht wirklich dunkel? Konnte sie vielleicht deshalb nicht sehen, weil ihre Augen in der Verwandlung begriffen waren?
Der Gedanke erschreckte sie, doch er war nicht von der Hand zu weisen. Sie spürte, dass sich vieles in ihrem Kopf… verschob. Zurückbildete. Ihr Mund, ihre Zähne - alles wurde neu.
Nur ihre Überlegungen blieben unverändert. Sie war fähig, vollkommen klar zu denken. Und das erschreckte sie mehr als alles andere.
Sie fragte sich, ob sie die Verwandlung mit heilem Verstand überstehen konnte. Musste sie denn nicht wahnsinnig werden angesichts dessen, was mit ihr vorging?
Gerade schrumpelte der kümmerliche Rest ihrer Arme noch weiter in sich zusammen, während ihre Beine endgültig zusammenschmolzen und die groteske Karikatur des Unterleibs einer Meerjungfrau bildeten. Ihr Skelett hatte sich in weiten Teilen zu einem schwammigen Etwas verwandelt, das vielleicht Muskelstränge, vielleicht aber auch etwas vollkommen Fremdes war.
Als Sandrine ihre Nickhäute hob und wieder senkte, hob und wieder senkte, immer wieder, da blitzte etwas in ihrem Gehirn auf.
Aufgeregt huschte ihre gespaltene Zunge vor ihrem Maul hin und her. Sandrine konnte wieder sehen.
Wieder?, fragte sie sich, denn Sandrine, die Schlange, sah zum ersten Mal in ihrer Existenz.
***
Es schmerzte, als die gleißende Helligkeit in seinem Kopf explodierte.
Erst, als Professor Zamorra die Augen wieder schloss und sie danach nur zu Schlitzen öffnete, nahm er wahr, dass die gleißende Helligkeit in Wirklichkeit das schwache Licht der aufgehenden Morgensonne war, die durch das Loch in der Wand fiel, das als Fenster diente.
»Verflixt«, murmelte er mit dröhnendem Schädel.
Neben ihm lag Nicole reglos auf dem Holzboden. Eine Sekunde lang erschrak Zamorra, doch dann erkannte er, dass sie lediglich schlief.
Mühsam versuchte er sich zu erinnern, was geschehen war, nachdem sie in die Hütte der Schlangenschwestern eingetreten waren. Offenbar weigerten sich seine Gedanken, die Bilder aus dem Gestern ins Heute herüberzuholen.
Nicole stöhnte und fuhr sich mit der Hand an die Stirn. Rasch beugte sich Zamorra zu seiner Gefährtin herab. »Mach die Augen vorsichtig auf«, riet er ihr.
Die Antwort bestand aus einem erneuten dumpfen Aufstöhnen. »Verflixt«, zischte Nicole dann.
Das entlockte Zamorra ein schwaches Lächeln. »Genau das habe ich vorhin auch gesagt.«
»Wo sind wir?«
»Großzügig geschätzt: im Haus der Schlangenschwestern.«
»Trinke nie Wein in einer anderen Dimension«, presste Nicole heraus. »Du weißt nicht, ob es Whiskey ist.«
»Was meinst du…« begann Zamorra, doch das damit blieb ihm im Hals stecken. Jetzt erinnerte er sich. Wie von Alimas angekündigt, hatten sie ein Festmahl vorgefunden und dazu eine Unmenge an - tja, an Wein hatten sie gedacht. Das Zeug hatte allerdings sicher den fünffachen Prozentsatz an Alkohol, den irdische Rebensäfte aufwiesen…
Dass Zamorra sich derart übel fühlte, lag also schlicht und ergreifend an einem Kater. »Alk am Abend - erquickend und labend«, flüsterte er.
»Doch am Morgen - Kummer und Sorgen«, ergänzte Nicole.
Neben ihnen schliefen Andrew und Diana ihren Rausch aus.
»Das Ganze ist doch ein Witz!«, ereiferte sich der Meister des Übersinnlichen, dem gar nicht zum Lachen zu Mute war. »Da reisen wir in eine andere Dimension und haben nichts Besseres zu tun, als uns zu besaufen!«
»Öfter mal was Neues.«
»Als wir die Hütte betreten haben, spürte ich ganz deutlich eine Bedrohung«, erinnerte sich Zamorra. »Doch das freundliche Gehabe der Schwestern hat mich die Gefahr vergessen lassen.«
»Ihr Gehabe oder ihre überaus männerfreundlichen Dekolletees?«
Auf diesen ebenso kurzen wie berechtigten Ein wand ging Zamorra nicht ein. »Störst du dich etwa nicht daran, dass ständig diese Schlangen um die Schwestern herumgekrochen sind?«
»Es ist seltsam«, stimmte Nicole zu.
»Sehr seltsam!«
»Allen diesbezüglichen Fragen sind die Ladys ausgewichen. Das Thema behagte ihnen gar nicht.«
»Heute werde ich mich nicht mehr abwimmeln lassen!«
Die Tür des Raums öffnete sich
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