082 - Das Geheimnis der Kristalle
Er ließ den Rest des Satzes offen.
»Was geschah weiter mit Mer’ol?«, brachte Quart’ol das Gespräch auf die ursprüngliche Bahn zurück.
»Ich versuchte ihn festzuhalten«, nahm Matt den Faden wieder auf, »aber er riss sich los und schwamm auf die Blutwolke zu, in der er sich verbergen wollte. Bevor er sie erreichte, kamen zwei Rochen daraus hervor und fielen über ihn her.«
»Ist er tot?«, fragte Quart’ol.
Matt hob ratlos die Achseln. »Ich hatte den Eindruck, dass sie ihn zum Kometen bringen wollten. Sicher sagen kann ich es nicht.«
»Sicher ist nur, dass wir alle sterben werden, sollten wir versuchen, dieser Frage auf den Grund zu gehen.« Wenn Mr. Black sprach, spürte man, dass er es gewohnt war, Befehle zu erteilen. So wie auch jetzt. »Der Kampf und das Blut haben die Rochen hemmungslos gemacht. Die stürzen sich jetzt auf alles, was sie nicht einordnen können. Bergen wir diesen Kristall - und dann lasst uns so schnell wie möglich von hier verschwinden!«
Der Hydrit nickte, und auch sonst widersprach niemand.
Die Qualle nahm den Kristall in ähnlicher Weise auf wie eine halbe Stunde zuvor die Taucher: Das Gewebe ihrer unteren Außenhaut bildete Lappen, die sich um den Kristall schlossen, zu einer Art Tasche zusammenwuchsen und ihn hochzogen, bis man nur noch eine knapp anderthalb Meter lange Ausbeulung des Quallenbauches sehen konnte.
Mit dieser Last - und ohne Mer’ol - traten sie den Rückweg an. Quart’ol versank in düsteres Schweigen; fast die ganze Rückreise über sprach er kein Wort. Matt wagte auch nicht, ihn anzusprechen.
***
Wulfs Gebell rückte näher, das Schiff blieb zurück. Die Schwertkrieger hingen über der Reling und blickten Aruula hinterher. Das Schweigen der Männer, ihre völlige Tatenlosigkeit hatten etwas Bedrohliches. »Mein Kind kriegt ihr nicht, und mich auch nicht«, zischte Aruula. »Und dankt Wudan auf den Knien dafür!«
Sie blickte sich um. Im Mondschein sah sie das Weiß der Birkenstämme und Wulfs Fell schimmern. Der Lupa stemmte die Vorderläufe ins flache Uferwasser und bellte sich die Kehle aus dem Leib. Noch ein halber Speerwurf trennte sie von ihm.
Ihre Arme waren lahm vom Schwertkampf, die Ruderholme entglitten ihren Händen. Ständig musste sie nachfassen. Auf einmal sah sie, dass der Segler sich bewegte. Der Bug drehte sich träge ihr zu, das Schiff hatte leichte Schlagseite.
Was bewirkte das? Noch immer lehnten die beiden Kapuzenmäntel über der Reling; ihre Mantelsäume flatterten im Wind.
Aruula hielt einen Atemzug lang inne, lauerte aus zusammengekniffenen Lidern zum Schiff hinüber. Träumte sie? Das Schiff richtete sich zum Ufer aus und fuhr los, und vor dem Bug schäumten Blasen auf der Wasseroberfläche!
Panik griff nach ihr. Ihre Glieder fühlten sich plötzlich steif an. Kein klarer Gedanke wollte ihr mehr gelingen.
Warum bewegte sich das Schiff, obwohl es so gut wie windstill war? Warum brodelte vor ihm das Wasser? Und was war das für ein grauweißer Berg, der sich plötzlich aus dem See erhob?
Mit aller Kraft ruderte sie dem Ufer entgegen, doch das Schiff rasch gewann an Fahrt. Bald trennten sie nur noch fünfzehn Speerlängen, und der grauweiße Berg wuchs und wuchs. Seine feuchte Haut reflektierte das Mondlicht, er pulsierte und zuckte, und als er schon so hoch wie zwei Männer aus dem Wasser ragte, erkannte Aruula das Seil, das ihn mit dem Schiff verband.
Das Entsetzen drohte sie zu lähmen. Es hatte keinen Sinn, noch weiter zu rudern. Schwimmend würde sie das Ufer schneller erreichen. Aruula bückte sich nach ihrem Schwert, schob es in die Rückenkralle und sprang ins Wasser. Als sie untertauchte, rückte Wulfs Gebell zwei Atemzüge lang in weite Ferne. Als sie auftauchte, stand er nur noch vier oder fünf Speerlängen vor ihr im Wasser. Er sprang ihr entgegen.
Sie drehte sich um. Kein Schiff mehr zu sehen - ein schleimiger, grauweißer, pulsierender Fleischhügel verdeckte ihr die Sicht auf den Segler. Tentakel und Hautlappen wedelten an der Seite des Berges, und sie glaubte in ein Paar grün funkelnder Augen zu sehen. Augen so groß wie Männerköpfe.
Aruula wandte sich ab, spürte endlich Grund unter den Füßen, warf sich vorwärts, ruderte mit den Armen, erreichte Wulf und warf sich auf ihn, krallte sich in seinem Nacken fest.
Ihr Gewicht drückte ihn unter Wasser, doch er schaffte es, sie ans Ufer zu ziehen.
Der Mond verdunkelte sich. Aruula stolperte, stürzte zwischen die Birken ins Unterholz, zu Tode
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