082 - Die Zeit der Zwerge
Tag, wenn Ihr nicht zu Hause seid, Michele? Ich bin versucht, ihr einige meiner Homunkuliden zu schicken, damit sie ihr die Zeit vertreiben."
Wir lachten beide - und damit waren wir auch schon bei unserem Lieblingsthema angelangt.
„Ich habe mich entschlossen, Michele", sagte er nach dem vorzüglichen Essen, das uns Hortense mundgerecht serviert hatte, „Euch zu einer meiner Transmutationen des Lebens einzuladen."
„Ich habe dies gehofft", sagte ich gerührt, „doch nicht an diese Ehre zu glauben gewagt. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, was das für mich bedeutet - zugegen zu sein, wenn aus dem Nichts ein lebendes Wesen erschaffen wird."
„Nun, übertreibt nicht, Michele! Aus nichts wird bekanntlich nichts. Dieses Gesetz kann nicht einmal der Alchimist mißachten", beschwichtigte er mich, war aber sichtlich geschmeichelt. „Bevor wir aber zur Praxis schreiten, sind einige Erklärungen notwendig, damit Ihr später nicht enttäuscht seid."
Ah, du Halunke! dachte ich. Jetzt willst du wohl ausweichen, damit du nicht zu deinen großsprecherischen Worten zu stehen brauchst.
„Aber, Alexander", erwiderte ich, „wie kann ich enttäuscht sein? Selbst wenn Ihr vor meinen Augen nur ein Küken aus einem Ei schlüpfen lassen würdet, hättet Ihr meine vollste Bewunderung."
„Mehr als ein Küken bringe ich doch zustande. Aber Ihr dürft auch wiederum nicht erwarten, daß ich vor Euern Augen ein vollwertiges Menschengeschöpf entstehen lasse. Eines Tages - bald schon - wird es mir gelingen. Ich bin auf dem besten Wege. Aber noch ist es nicht soweit. Die Geschöpfe, die ich in der Retorte erschaffe, sind noch unvollkommen, was ihren Metabolismus wie auch ihre Größe anbetrifft."
„Aber diese Homunkuliden leben?" fragte ich hoffnungsvoll. Und als er nachdrücklich nickte, fügte ich hinzu: „Wofür entschuldigt Ihr Euch dann? Ich befürchtete schon, daß Ihr mir eingestehen würdet, den Mund zu voll genommen zu haben. Aber wenn Ihr Leben erschafft - egal in welcher Form - dann habt Ihr in mir einen Bewunderer gewonnen."
Belot brach bald darauf auf. Zum Abschied sagte er: „Ich lasse Euch rechtzeitig eine Nachricht zukommen, wann es soweit ist. Nur noch eines, Michele: Sagt später nicht, ich hätte Euch nicht gewarnt!"
Zehn Minuten, nachdem Belot gegangen war, kam Franca nach Hause. Er war übel zugerichtet und hatte unzählige Wunden am Körper. Blutüberströmt taumelte er ins Haus und brach auf der Treppe zusammen. Gemeinsam mit Hortense brachte ich ihn auf sein Zimmer, wo ich seine Wunden behandelte. Nachdem er mit Hilfe meiner Medizin und einem guten Schluck Wein wieder zu Kräften gekommen war, erzählte er folgende haarsträubende Geschichte:
„Soisson ist der krumme, einäugige König der Bettler. Becheres mit dem Narbengesicht ist der König der Diebe und Welscher. Aber wer ist der heimliche König von Paris? Diese Frage müssen Soisson und Becheres unter sich klären. Das wollten sie schon lange, doch irgendwie war es nie dazu gekommen. Heute sollte diese Frage ein für allemal beantwortet werden - auf dem Friedhof der Verlorenen Kindlein.
Bei Einbruch der Nacht rotteten sich hier die Bettler zusammen - und dort die Diebe. Von zwei Seiten näherte man sich dem Friedhof. In fünfzig Meter Abstand blieben die Parteien voreinander stehen. Um sich für den Kampf in Rage zu bringen, warf man sich gegenseitig Beschimpfungen an den Kopf.
Zu diesem Zeitpunkt brachte mir ein Bote die Nachricht von dem bevorstehenden Kampf. Ich bin sowohl Soisson als auch Becheres verpflichtet. Beide sind meine Freunde - aber fragt mich nicht, wieso das so ist, Herr.
Das ist der Grund, warum ich Euch im Stich gelassen habe, und ich erzähle Euch die Geschichte nur, weil sie in Euren Bereich hineinspielt. Ihr seid ein Mann, der Wunder vollbringen kann. Ihr habt in Livorno die Pest besiegt, vielleicht besiegt Ihr auch die bösen Geister von Paris.
Kaum erreichte mich die Nachricht von dem bevorstehenden Kampf, da eilte ich auch schon zum Friedhof der Verlorenen Kindlein. Als ich hinkam, standen sich der krumme Soisson und Narbengesicht Becheres immer noch gegenüber. Aber dann fanden sie, daß sie sich genug beschimpft hatten. Sie warfen mit Steinen aufeinander. Soisson ging auf Becheres mit seiner Krücke los, an dessen Ende er Messerklingen befestigt hatte. Becheres hielt in seiner Eisenhand einen Morgenstern.
Ich trat dazwischen. Aber da traf mich ein Stein am Kopf. Ich konnte nicht mehr richtig sehen, war ganz
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