0820 - Horror-Baby
Fahrbahn zu gelangen, die am Ufer entlangführte.
Es würde einige Zeit dauern, bis sie eine belebtere Gegend erreichte, und dort würde es ihr auch besser gehen, davon war sie fest überzeugt. Sie fuhr schneller, ihr Kopf und die Augen befanden sich ständig in Bewegung, denn Selma fürchtete sich auch jetzt vor einem weiteren Angriff, obwohl sie sich das kaum vorstellen konnte.
Sie selbst befand sich in einer relativ einsamen Gegend zwischen London und Schloss Windsor. Der Wald wuchs hier ziemlich dicht, war allerdings niedrig und trat zurück, je mehr sich der Wagen der normalen Straße näherte.
Schräg mündete der Weg dort hinein. Es herrschte nicht viel Betrieb. Der Sommer ging zu Ende, um das Schloss kümmerte sich kein Besucher mehr, und für romantische Stunden in dieser Umgebung war es zu kalt.
Sie fuhr in Richtung London, denn dort hatte sie ihre Wohnung, in einem neuen Haus, war noch relativ preiswert, aber große Sprünge konnte sich Selma nicht erlauben. Das Gehalt reichte nicht aus, deshalb arbeitete sie noch dreimal in der Woche als Kellnerin in einem Restaurant.
Sie hätte die Autobahn nehmen können, doch darauf verzichtete sie. Auf der normalen Landstraße fühlte sie sich einfach wohler, denn sie war in ihrem Zustand einfach nicht in der Lage, schnell zu fahren. Es hätte zu viel Konzentration erfordert.
Kleine Baumgruppen an den Fahrbahnrändern sahen aus wie düstere, steife Gespenster, die den einsamen Autofahrern zuwinken wollten.
Die Angst war zwar abgeflacht, aber sie blieb trotzdem bestehen.
Selma war nervös, und so fuhr sie auch. Sie hatte Probleme mit der Schaltung, und mehr als einmal schickte ihr das Getriebe einen knarrenden Gruß entgegen.
London näherte sie sich von der östlichen Seite her. Die ersten Vororte lagen wie auf dem Präsentierteller. Lichter funkelten in der Dunkelheit, und sie sah auch einen angestrahlten Kirchturm, der wie von einem Schleier umgeben war.
Zwei Fahrzeuge huschten auf der anderen Straßenseite an ihr vorbei. Dann fiel wieder die Dunkelheit über den Wagen. Selmas Gedanken drehten sich schon jetzt um den Besuch auf der Polizeistation. Sie wollte sich die Worte zurechtlegen, die sie den Beamten sagen würde, und sie hoffte, dass man sie nicht auslachte.
Ein Schatten erschien.
Zuerst dachte sie an einen Irrtum, denn sie hatte ihn neben sich bemerkt. Außerhalb des Wagens bewegte er sich, und es war keine Haarsträhne gewesen, die vor ihr Auge gerutscht war. Es gab ihn tatsächlich.
Selma warf einen Blick aus dem Fenster.
Der Schatten blieb.
Es war der Kinderwagen!
***
Sie schrie, schloss die Augen, bremste – und fuhr trotzdem weiter, weil sie all diese Dinge nur in Gedanken getan hatte. Tatsächlich aber war sie normal weitergefahren.
Selma zitterte. Sie schaute stur geradeaus. Die Hände der Frau umfassten das Lenkrad wie im Krampf, und Selma stierte ins Leere.
Zu erkennen war nichts.
»Ich habe mich geirrt!« flüsterte Selma. »Verdammt noch mal, ich habe mich geirrt. Es kann einfach nicht wahr sein. Ich habe mir das eingebildet. Der Kinderwagen ist aus meinem Traum hochgestiegen. Ich… ich muss verrückt sein …«
Sie fuhr. Der Fuß klemmte förmlich auf dem Gaspedal. Sie hörte die Windgeräusche, die den Fiat umfingen, und es dauerte eine Weile, bis sie sich traute, den Kopf abermals nach rechts zu drehen.
Er war noch da!
Der Kinderwagen fuhr mit der gleichen Geschwindigkeit wie der Fiat, und das war nicht wenig.
Selma Swan konnte sich nur über sich selbst wundern. Sie hätte eigentlich durchdrehen müssen, aber sie fuhr noch immer, und sie nahm auch die Bewegung im Kinderwagen wahr, denn er hatte sich ein Stück vorgeschoben und befand sich ungefähr in Höhe des Vorderrads.
Eine Gestalt erschien in dem Wagen.
Klein, klumpig und böse!
Selma atmete pfeifend. Ihr Gesichtwar zur Maske erstarrt. Sie wusste nicht genau, was sich da in dem Wagen zeigte. Es war eine Mischung aus Kleinkind und Monstrum mit kalten, bösen, grüngelb leuchtenden Augen, die ebenso eingebettet in die Schwärze der Haut oder des Fells waren wie das Maul, das sich langsam öffnete, sodass sie helle, spitze Zähne sehen konnte.
Ihr Magen wollte rebellieren. Die Nerven fingen an zu vibrieren.
Selma wusste genau, dass sie diesen Stress nicht mehr lange durchhalten konnte, denn die heiße Angst umklammerte ihren Körper plötzlich wie eine Würgeschlinge.
Sie fuhr weiter. Dabei weinte sie. Und dann huschte der verdammte Kinderwagen plötzlich
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