0824 - Liebestanz der Totenbräute
letzten Mal hatten die beiden langen, hellen Arme das rostige Gestänge des Friedhofstors aus der Dunkelheit gerissen.
Wir waren am Ziel!
Zunächst blieben wir im Wagen sitzen. Jane bewegte den Kopf.
»Alles ruhig«, kommentierte sie mit Flüsterstimme.
Ich runzelte die Stirn. »Zu ruhig…«
Sie schnallte sich los. »Wie man esnimmt. Ich jedenfalls bin froh darüber, nichts zu hören. Dabei denke ich an Sarah.« Sie strich nervös über ihr Gesicht. »Verflixt, sie hier auf dem Totenacker, das kann nicht gut gehen.«
»Meinst du?«
»Sei nicht so cool.« Sie öffnete die Tür und verließ den Wagen.
Auch ich stieg aus.
Es war kühl, dunstig und finster. Durch die äußeren Einflüsse wirkte der Friedhof noch schauriger als sonst. Wie ein Totenplatz für Geister, der von dünnen Schwaden durchweht wurde. Die Seiten des Tores wölbten sich zu einem Bogen hoch.
Dahinter sahen wir keine Grabsteine, sondern große Bäume mit mächtigen Kronen. Sie standen teilweise so dicht beisammen, dass uns ein Durchkommen unmöglich erschien. Auch hörten wir keine Stimmen. Kein Vogel schrie, nichts huschte durch das Unterholz, die Stille lastete wie eine dichte Decke über dem alten Friedhof.
Jane hatte es eilig und wollte vor mir den Friedhof betreten. Sie sah aus wie ein Gespenst im Dunst, als ich auf ihren Rücken schaute. Wir wussten beide nicht, wie groß dieser Friedhof war. Darüber war uns nichts gesagt worden, und ich spürte bei jedem Schritt, wie meine Unruhe zunahm. Kalt war es. Ich hatte das Gefühl, als würden sich feuchte Tücher auf mich legen. Hin und wieder raschelte es über uns. Blätter fielen ab, obwohl es windstill war. Sie taumelten an uns vorbei und landeten irgendwo in der Dunkelheit.
Ich hatte Jane erreicht und blieb dicht neben ihr stehen. Ihr Gesicht zeigte keinen freudigen Ausdruck. Sie wusste nicht, wo sie anfangen sollte zu suchen, und ich konnte ihr auch nicht helfen, weil wir überhaupt nicht wussten, welche Ausmaße dieser alte Totenacker hatte.
Er war schon mehr ein Wald, in demnur zufällig irgendwelche Grabsteine hineingeraten waren.
Jane hatte ihre Hand auf einen der hohen Steine gelegt. Sie strich darüber hinweg, als wollte sie ihn streicheln. Auf ihrem Gesicht lag ein gespannter Ausdruck. »Es ist etwas hier, John«, murmelte sie.
»Ich spüre es genau, aber ich kann beim besten Willen nicht sagen, was sich hier herumtreibt.«
»Du denkst nicht an Sarah?«
»An sie auch.«
»Nun, ich glaube nicht, dass…«
Das nächste Wort erstarb mir auf den Lippen. Wir beide hatten das Geräusch gehört, das irgendwo entstanden war, aber von den Dunstschwaden fast verschluckt worden war. Deshalb auch konnten wir nicht herausfinden, wo es aufgeklungen war.
Irgendwo vor uns jedenfalls.
Jane hatte sich nach rechts gedreht und eine gespannte Haltung angenommen. »Das könnten Schritte gewesen sein«, flüsterte sie.
»Sarah?«
»Sollen wir uns trennen?«
»Nein, zu gefährlich.«
Plötzlich hörten wir schrilles Lachen. Es jagte uns eine Gänsehaut über die Rücken. Wir erstarrten nicht in Angst oder Furcht, aber wir wussten beide, dass dieses Lachen nicht von Sarah Goldwyn stammte. Es hatte sich einfach zu triumphierend angehört, als wäre ein Monster dabei, über einen Menschen herzufallen.
Jetzt mussten wir alle Vorsicht über Bord werfen. Für uns war der Friedhof zu einem Ort des Schreckens geworden, zu einer gigantischen Menschenfalle…
***
Hetty Morland!
Die Horror-Oma konnte es nicht glauben. Sie war wie vor den Kopf geschlagen. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht mit dem plötzlichen Erscheinen ihrer Jugendfreundin. Sie war sich nicht einmal darüber im Klaren, ob sie sich freuen sollte oder nicht.
Die Stimme hatte so lauernd und gleichzeitig triumphierend geklungen. Da stimmte etwas nicht. Sarah spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Bisher hatte sie von Hetty Morland nichts gesehen, sie wusste nur, wo sich die Freundin aufhalten musste. Vor ihr, zum greifen nahe, aber trotzdem so weit entfernt, denn sie hatte den Eindruck, als würden Welten sie trennen. Nicht nur von der reinen Distanz her, auch von der Psyche, denn in das Herz der Horror-Oma kroch die Furcht.
Sie war schleichend und erinnerte an ein Gift, und sie breitete sich bis zu ihrem Gehirn hin aus. Eine böse Furcht vor ihrer Freundin Hetty Morland. Lady Sarah hätte am liebsten kehrtgemacht und wäre weggerannt. Sie wusste, dass dieser Baron of Gulbekian und Hetty Morland in einer bestimmten
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