0824 - Liebestanz der Totenbräute
Verbindung zueinander standen, aber sie weigerte sich, über diese Verbindung näher nachzudenken.
Vor ihr raschelte etwas. Dürres, struppiges Gras scheuerte über Beine und Füße. Zweige bewegten sich in Kopfhöhe. Sie wippten locker, warfen Schatten, federten wieder zurück, und Sarah hatte den Eindruck, als wäre alles in ihrer Nähe in Bewegung geraten.
Sie verfluchte die Finsternis, in der alles verschwamm. Auch die Gestalt, deren Umrisse sie so gerade noch erkannte.
Es war Hetty!
Sarah blieb der Ruf im Hals stecken. Sie hatte sie eigentlich ansprechen und sie fragen wollen, wie es ihr denn ging, doch sie wagte nicht, etwas zu sagen. Ihr Herz schlug viel schneller als gewöhnlich und so hart, dass sie kein Wort hervorbringen konnte. Ihre Kehle war zu.
Hetty Morland näherte sich.
Sie schob sich heran, sie ging sehr langsam, ihre Füße schleiften durch die langen dürren Grashalme. Blätter wurden in die Höhe geschleudert, und das Rascheln erreichte die Ohren der Horror-Oma.
Für sie hörte es sich an, als würden trockene Totenhände gegeneinander reiben.
Hetty blieb stehen.
Sarah versuchte, ihre Angst im Zaum zu halten. Noch hatte sie nicht genau erkennen können, wie Hetty aussah, aber sie war auf das Schlimmste gefasst, vor allen Dingen auch deshalb, weil ihr ein Geruch entgegenwehte, der mit dem des Friedhofs nur bedingt zu tun hatte. Dieser andere Geruch war einfach widerlich, er stank nach Verwesung, Moder und auch nach altem Fleisch.
Hetty – ein Zombie?
Während dieser Gedanken hatte Sarah in die Tasche gegriffen und ihr Feuerzeug hervorgeholt. Es hatte keinen Sinn, hier länger im Dunkeln zu stehen, sie musste wissen, wer da vor ihr stand.
Die Flamme zuckte auf.
Da es ziemlich windstill war, tanzte sie nicht unruhig. Aber um Hetty Morland besser sehen zu können, musste sie schon näher an sie heran.
Sarah konzentrierte sich auf das hellere Gesicht. Noch schwebte der Dunst zwischen ihm und der Flamme, die jetzt zitterte und sich unruhig bewegte, weilauch die Hände der Horror-Oma nicht mehr ruhig blieben.
Allmählich schälte es sich hervor – ein Gesicht, das aussah wie mit grauem Staub überpudert. Alte Haut mit tiefen Falten, ein dünner Mund, der zu einem faunischen Grinsen verzogen war.
Hetty war nicht normal.
Sie war auch nicht wahnsinnig geworden, ihr musste etwas viel Schlimmeres widerfahren sein.
War sie…
War sie nicht…?
»Hetty?« Der Name drang als Flüstern über Sarahs Lippen, und sie sah, wie ihre Jugendfreundin zusammenschrak.
Eine Antwort erhielt die Horror-Oma nicht, deshalb ging sie weiter und sprach Hetty noch einmal an.
»Komm her!« flüsterte sie.
Sarah Goldwyn konnte das Feuerzeug nicht länger halten. Sie musste das Rädchen loslassen, weil sie sich sonst die Finger verbrannt hätte. Nach dem Verlöschen der Flamme fiel die Dunkelheit wieder schlagartig über ihr zusammen.
Im ersten Moment wusste Sarah nicht, was sie tun sollte. Sie fühlte sich völlig hilflos.
Hetty übernahm die Initiative. Sie trat einen Schritt näher.
Eine Hand legte sich auf Sarahs Schulter. Durch den Stoff hindurch spürte sie die dünnen Finger. Der Druck war stark wie der von einer harten Klammer.
Hetty bewegte ihre Hand auf den Hals der Sarah Goldwyn zu, die zunächst einmal starr auf dem Fleck stand und versuchte, mit der neuen Lage fertig zu werden. Die Hand kroch weiter auf ihren Hals zu, und gleichzeitig bewegte sich auch das Gesicht.
Es war nicht weit von Sarah entfernt. Das Gesicht glich einer teigigen Maske, bei der der Teig sehr dünn über die Knochen gezogen war. In der unteren Hälfte bewegte es sich, da entstand plötzlich ein dunkler Schatten, ein Loch.
Fauliger Geruch wehte in Sarahs Gesicht.
Das war genau der Augenblick, in dem sich die Horror-Oma überwand, das Feuerzeug abermals anzuknipsen.
Die Flamme riss ein Loch in die Dunkelheit. Genau dort, wo sich Hettys Gesicht befand.
Sarah sah es überdeutlich. Es sah aus, wie aus Stein in die Finsternis gemeißelt.
Hetty Morland hatte nicht mehr das Gesicht eines normalen Menschen. Aus dem Oberkiefer stachen zwei Vampirzähne hervor…
***
Obwohl Sarah damit gerechnet hatte, empfand sie es als Schock. Die Person, die hier vor ihr stand, war Hetty Morland, eine sehr enge Jugendfreundin, doch diese Frau war kein Mensch mehr, sie gehorchte einzig und allein den Gesetzen der Finsternis. Sie war tot und existierte trotzdem, sie wollte Blut, um diesen Zustand aufrecht erhalten zu können.
Und sie
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