0824 - Liebestanz der Totenbräute
Sarah Goldwyn eine mit geweihten Silberkugeln geladene Beretta. Sie hätte sie nur zu senken brauchen, um den unter ihr lauernden Vampir zu treffen.
Diese Kugeln hätten sein untotes »Leben« locker ausgelöscht, und es wäre nichts als feiner Staub oder Knochenmehl zurückgeblieben.
Aber sie hatte die Waffe nicht. Stattdessen schaute sie in das bleichgraue Gesicht des blutgierigen Monsters, undsie konnte an den beiden spitzen Zähnen einfach nicht vorbeisehen.
Er wollte auch sie.
Und er tat alles, damit ihm die Beute nicht aus den Fingern glitt, denn mit einer lockeren Bewegung zog er sich hoch. Es sah aus, als würde er schweben. Jedem Menschen wäre ein derartiger Kraftakt schwer gefallen, nicht ihm, denn ein Vampir besitzt Kräfte, die denen eines Menschen weit, weit überlegen sind.
Auch wie er seinen Kopf gedreht hatte, das war schon mehr als ungewöhnlich. Es sah so aus, als könnte er ihn noch weiter bewegen, sodass sein Gesicht dann auf dem Rücken war.
Er stieg aus der Grube.
Sarah heulte beinahe auf. Sie schaute sich um. Es war dunkler geworden. Die Schatten der Dämmerung hatten sich über den Friedhof gelegt. Durch jede Lücke drangen sie, in jedes Loch schoben sie sich hinein. Sie stiegen aus der Tiefe, senkten sich aus der Höhe und drangen von den Seiten auf sie ein, sodass sie alles einhüllten.
Es war die Zeit der Vampire, der Blutsauger. Die Nacht, das Mondlicht, das ihnen die nötige Kraft gab, um auf die Jagd nach Opfern zu gehen. Menschen standen bei ihnen ganz oben im Kurs. Sie saugten ihnen das Blut aus, und mit jedem Schluck tankten sie neue Kraft. So sorgte das Blut der Menschen dafür, dass sie unbesiegbar waren.
Aus der Gruft, am Vampir vorbei, drang ein widerlicher und modriger Geruch an die Nase der Horror-Oma. Dieser Gestank war so etwas wie ein Auslöser, denn sie schaffte es, ihre Starrezu überwinden. Für sie gab es nur eines – die Flucht!
Es gab keine Wege. Vor ihr lag ein Gelände, das mit dornigem Unkraut bewachsen war und auf dem flache, versteckt liegende Grabsteine Stolperfallen bildeten. Und Lady Sarah war eine Frau, die längst nicht mehr zu den jüngsten Menschen zählte. Sie war realistisch genug, um zu wissen, dass das eigentlich nicht gut gehen konnte.
Wieder hatte sie einen Fehler begangen, denn sie hätte Jane Collins mitnehmen sollen, aber ihre verfluchte Eitelkeit hatte es nicht zugelassen, und so nannte sie sich selbst eine alte Eselin.
Es war ganz natürlich, dass die letzten Sekunden sie stark aufgeregt hatten. Das wäre auch einer Person passiert, die dreißig Jahre jünger war als Lady Sarah.
Die Flucht gestaltete sich schwierig. Nicht allein wegen der Dämmerung und des verwunschenschaurig wirkenden Geländes, es lag hauptsächlich an ihrer eigenen Kondition, die zwangsläufig im Laufe der Jahre nachgelassen hatte.
Sarah gönnte sich keine Sekunde Pause. Sie schaute auch nicht zurück. Sie wollte den Unheimlichen nicht sehen, der ihr auf den Fersen war, sie hörte ihn nur, wie er hohl und grausam lachte.
Sie rannte.
Der Boden schien ihr manchmal entgegenzuquellen, um sie festzuhalten. Er tanzte unter ihren Füßen, sie schwankte zu verschiedenen Seiten hin, geriet häufig in die Schräglage und hatte immer wieder Glück, dass sie sich an verschiedenen Sträuchern festhalten oder an schiefen Grabsteinen abstützten konnte.
Auf eine bestimmte Richtung hatte Lady Sarah nicht geachtet. Sie hoffte nur, instinktiv die richtige eingeschlagen zu haben, um den Friedhof so schnell wie möglich zu verlassen.
Es war wie eine riesige Bühne, auf der die Dekoration ständig wechselte, und beim Laufen durchbrach sie immer wieder die unterschiedlich hohen Hecken und Unkrautinseln.
Ihr Atem rasselte.
Bei jedem Luftholen spürte sie den Schmerz in der Brust, der ihren Körper beinahe zu zerreißen drohte. Lange würde sie diese Flucht nicht durchhalten können. Sarah spielte bereits mit dem Gedanken, sich zu verstecken. Sie war auch nicht mehr in der Lage, alles genau zu erkennen. Die Schatten, die jetzt vor ihren Augen tanzten, hatten nichts mit der normalen Dunkelheit zu tun, es waren die warnenden Vorboten der Erschöpfung.
Aber sie lief weiter.
Mit schweren Schritten nur noch. Immer öfter musste sie sich festhalten, bis sie plötzlich nicht mehr konnte, denn ihre Beine sackten einfach weg.
Lady Sarah stürzte.
Dabei hatte sie das Gefühl, als würde sie im Zeitlupentempo zu Boden gleiten. Ihre Bewegungen waren auf einmal stark verlangsamt, und die
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