0827 - Der Rosenfluch
Beispiel kannst du mir sagen, was du dort den ganzen Tag über so getrieben hast. Du hast doch sicherlich viel Spaß gehabt – oder?«
»Riesig. Da war sogar eine Kirmes.«
»Wo?«
»Einen Ort weiter. Wir sind mit den Rädern hingefahren. Auch Mum und Dad haben sich Räder geliehen. Wir waren in Dürnstein, da ist ein tolles Hotel, so richtig wie früher, hat Dad gesagt.«
»Was meinte er damit?«
»Da konnte man in riesigen Zimmern mit ganz hohen Decken wohnen. Einmal war es so warm, da haben wir sogar draußen auf der Terrasse gesessen und auf die Donau geschaut. Kennst du den Fluss?«
»Gut sogar.«
»Er ist viel schöner als die Themse, obwohl meine Mum immer sagte, dass er nicht so blau ist, wie die Leute immer singen.«
»Und der Fluss hat dir am besten gefallen?«
»Nein.«
»Was dann? Die Kirmes?«
»Hmmm…« Iris legte ihren Kopf schief. Wieder passte ihr Verhalten nicht zu dem alten Gesicht.
»Also nicht?«
»Nein.«
»Was war denn am besten für dich?«
Plötzlich leuchteten ihre Augen auf. »Das war die Ruine über dem Hotel. Die war toll. Ich bin hochgelaufen, das war richtig spannend.«
Ich staunte. »Ganz allein hochgelaufen?«
»Klar.« Sie fing an zu flüstern. »Meine Eltern haben davon nichts mitgekriegt. Sollten sie auch nicht.«
»Waren sie denn dagegen?«
»Nein, eigentlich nicht. Aber als ich ging, da wurde es schon langsam dunkel. Der Weg ist steil. Da gibt es zwar Treppen, aber nicht überall. Und die Bäume nehmen auch das Licht.«
»Du warst also dort oben?«
»Ja.«
»Was hast du da getan?«
Sie legte ihren normalen Finger gegen die alten, lappigen Lippen und bewegte ihre Augen. »Ja, was habe ich da getan…?«
»Bist du allein gewesen?« half ich ihr. »Ich meine, du bist ja allein gegangen, aber hast du jemand getroffen, der den gleichen Weg gehabt hat wie du?«
»Ja, da war jemand.«
»Wer?«
»Ein Mann. Nicht mehr so jung wie du und auch nicht so wie mein Vater. Aber er war da. Er stand auf der Mauer und schaute nach unten, wo der Fluss fließt. Den konnte man nämlich noch sehen.«
»Bist du zu dem Mann gegangen?«
»Klar. Erst wollte ich ihn erschrecken, aber er hat mich schon vorher bemerkt. Er drehte sich plötzlich um, ich habe mich richtig erschrocken über sein Gesicht.«
»War es hässlich?«
Iris überlegte. »Eigentlich nicht. Es war so komisch. Es hat so blass ausgesehen.«
»Was tat der Mann dann?«
»Er war unheimlich nett. Er hat gelacht, und er hat mich gefragt, wo ich herkam.«
»Hast du ihm alles gesagt?«
Wieder das heftige Nicken.
»Was geschah weiter?«
»Der Mann ging mit mir zu einem alten Stück Turm. Dort hatte er einen großen Eimer stehen.« Sie zeichnete ihn mit den Händen nach. »Und darin steckten Rosen, die unheimlich toll geduftet haben. Sie waren nicht nur rot, sie hatten alle Farben.«
Ich hatte die Stirn gerunzelt, was ihr gar nicht gefiel, denn sie piekste mich mit dem Finger. »Jetzt schaust du so wie meine Eltern, die haben mir auch nicht geglaubt.«
Ich drehte den Kopf und sah, wie Mrs. Quentin nickte.
»Also gut«, sagte ich. »Die Rosen hatten verschiedene Farben. Hat dich das nicht gewundert?«
»Und wie? Ich habe den Mann auch gefragt, wie so etwas überhaupt kommt.«
»Was sagte er denn?«
»Dass es besondere Rosen wären. Blumen, die verzaubert sind. Aus einem geheimnisvollen Land.«
»Das hast du geglaubt?«
»Zuerst nicht.«
»Wann denn?«
»Als ich mich bückte.«
Ich schüttelte den Kopf. »Bückte. Warum hast du das denn getan?«
»Himmel, sei doch nicht dumm. Die Rosen steckten in einem Eimer. Der Eimer stand auf dem Boden. Ich musste mich bücken und daran riechen. Das habe ich getan.«
»Schön, Iris. Bisher ist alles klar. Dann ist doch bestimmt etwas passiert?«
»Ja, ich konnte die Rosen riechen. So etwas habe ich noch nie erlebt. Es war super, ich sah nichts mehr, ich konnte nur riechen. Nur – nur diesen Duft.«
»Hat er dir gefallen?«
Iris überlegte. »Zuerst schon, aber später nicht mehr. Ich wollte wieder hoch, aber das konnte ich nicht. Ich musste immer nur riechen. Und der Duft war schlimm.«
»Wie schlimm?«
»Er roch so alt.«
Ich war mir sicher, dass ich mich allmählich dem eigentlichen Punkt näherte, aber ich wusste genau, dass ich behutsam vorgehen musste. Zudem schien Iris das Thema selbst unangenehm zu werden, denn sie hatte einen trotzigen Blick.
»Willst du nicht mehr?« fragte ich.
»Nein.«
Das hatte ich mir gedacht, aber ich wollte nicht
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