0827 - Der Rosenfluch
zuckte. Iris bewegte ihren Mund. Speichel schimmerte auf den alten Lippen, und plötzlich begann sie zu reden, was allerdings mehr einem heiseren Knurren glich.
»Aus dem Weg!«
»Ich bleibe!«
Iris ballte die Hände. Sie hatte den Kopf zurückgelegt, um die Mutter anschauen zu können. »Du sollst verschwinden, hast du nicht gehört? Einfach weggehen, verdammt!«
»Und wenn nicht?«
»Ich lasse mich nicht aufhalten!«
Das war klar und deutlich. Bei Bea Quentin verwandelte sich das Unbehagen in Angst. Dichte Furcht vor der eigenen Tochter, die sich in ein kleines Monstrum verwandelt hatte und alles zur Seite räumen würde, was sich ihr in den Weg stellte. Plötzlich fror sie. Nicht allein wegen des Anblicks, sie dachte dabei auch an die Folgen, die so schrecklich sein konnten.
Sie konnte sich eine normale Lösung nicht mehr vorstellen, und Iris erweckte bei ihr den Eindruck, als würde sie auch vor Gewalt nicht zurückschrecken. Nein, das war nicht mehr sie, das war nicht mehr ihr Kind, das war eine völlig veränderte Person, die unter dem Einfluss einer bösartigen Macht stand.
»Bitte, Iris, du kannst es nicht tun!«
»Ich will aber!«
Wieder hatte sich die Stimme verändert, wie Bea mit Schrecken feststellte. Sie war noch tiefer geworden, als hätte jemand anderer aus ihr gesprochen. Aufhalten ließ sich das veränderte Kind nicht. Es ging auf die Mutter zu, die Distanz verkürzte sich – zuerst waren es noch vier, dann drei, dann nur noch zwei Schritte und jetzt…
Die Tür wurde von der anderen Seite aufgedrückt. Bea konnte nicht so schnell ausweichen. Sie spürte den Anprall im Rücken, hörte mehrere Stimmen zugleich, dann taumelte sie auf Iris zu, die rasch zur Seite trat.
Sekunden später standen wir im, Zimmer und sahen eine Bea Quentin, die aschfahl im Gesicht war…
***
Es gibt immer wieder Gelegenheiten, bei denen man sich wirklich wundern muss.
Genau so etwas passierte mir. Da hatte ich mit großen Überredungskünsten spekuliert, aber Bea Quentin war seltsamerweise sofort damit einverstanden gewesen, dass ich zusammen mit Iris eine Reise in die Wachau antreten wollte.
»Fahren Sie«, hatte sie gesagt, »aber nehmen Sie mich bitte nicht mit. Fahren Sie mit ihr allein.«
Auch die Conollys zeigten sich konsterniert, und Sheila, die nachhaken wollte, erhielt nur ein Kopfschütteln als Antwort. Bea wollte mit der Sprache nicht heraus. Sie behandelte ihre Tochter sogar wie eine Fremde, denn sie schaute sie nicht einmal an, als Iris neben mir stand und sich gab wie ein normales Kind. Sie hatte meine Hand umfasst und mir erklärt, wie sehr sie sich auf die Reise freute.
»Wann können wir denn fahren?« wollte sie immer wieder wissen.
»Morgen, denke ich.«
»Das ist gut.«
Bea rannte plötzlich aus dem Zimmer, bevor einer von uns sie aufhalten konnte. Es war Sheila, die ihr nachging. Von Frau zu Frau konnte intimer gesprochen werden.
Bill und ich blieben zurück wie zwei begossene Pudel. Wir verstanden die Reaktion der Mutter nicht und suchten erst gar nicht nach großen Erklärungen.
»Nimm es einfach hin, John.«
»Was denn?«
»Dass hier irgendwas geschehen ist. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Würdest du denn an meiner Stelle fahren?«
»Ich bin nicht gefragt.«
Von der Tür meldete sich Sheila. »Kannst du mal eben kommen, Bill?«
Er drehte sich um. »Nur ich?«
»Ja.«
»Okay.« Er schaute mich verwundert an und verließ den Raum.
Iris und ich blieben zurück. Trotz des genauen Hinschauens konnte ich bei ihr keine Veränderung feststellen. Noch immer hatte sie das alte Greisengesicht, aber jetzt trug die statt des Nachtzeugs normale Kleidung.
»Warum hast du dich so plötzlich umgezogen?« fragte ich.
»Weil ich jetzt weggehen wollte.«
»In die Wachau?«
»Ja, zu dem Mann mit den Rosen.«
»Und du hast nichts dagegen, wenn ich dich dorthin begleite?«
»Nein, habe ich nicht.«
»Kannst du mir den Grund sagen?«
»Du kannst ja auf mich aufpassen.« Ich lachte, aber es klang unecht, denn ein Grund zur Fröhlichkeit bestand nicht. »Das werde ich sowieso, mein Kind.«
Iris schaute von der Seite zu mir hoch. »Sollen wir nicht schon heute fahren?«
»Das wird wohl kaum gehen.«
»Warum denn nicht?«
»Weil wir noch einige Vorbereitungen treffen müssen. Sei mir nicht böse, aber mit deinem Gesicht fällst du auf. Ich glaube, wir müssten daran etwas ändern.«
»Wie denn?«
»Vergiss nicht, dass ich Polizist bin. Bei uns gibt es wunderbare Maskenbildner.
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