0828 - Der Henker des Herzogs
stellte keine Frage, er wollte erst den Kommentar des Mädchens abwarten.
Iris blieb ruhig. Suko wunderte sich darüber, wie stark sie sich in der Gewalt hatte, das aber änderte sich, denn Iris fing an, sehr heftig zu atmen.
Suko legte seine Hände sachte auf ihre Schultern. »Was ist los, Kind? Was hast du?«
»Da ist jemand!«
»Kennst du ihn?«
»Ja, es ist John. Ein anderer ist beiihm. Er sieht so schlecht aus. John hat etwas in seine Jacke gesteckt. Ich glaube, es war diese Rose hier.«
Die Worte wühlten Suko innerlich auf. Er beugte seinen Kopf vor, um in den Kelch hineinschauen zu können. Auch Chandler war näher getreten und sah von der anderen Seite zu.
Durch den veränderten Blickwinkel schauten beide Männer zwar nicht direkt in die Rose hinein, aber sie konnten doch erkennen, dass sich ein Bild abmalte.
Zwei Männer. Einer war John, der andere musste der berühmte Richard Löwenherz sein.
Sie drehten sich dem Eingang des Kerkers zu, denn dort wurde eine Tür geöffnet. Soldaten erschienen und schufen Platz für einen dritten Mann, der sich so aufbaute, dass er den beiden Gefangenen gegenüberstand. Er sah sehr gefährlich aus und hielt ein Schwert mit langer Klinge in der Hand. Er trug Teile einer Rüstung, sein Haar war lang, blond und wirr. Das alles wurde zur Nebensache für die männlichen Zuschauer, als Iris einen dumpfen Laut ausstieß, der einem erstickten Schrei glich, und mit brechender Stimme sagte: »Es ist mein Vater…«
***
Bill Conolly öffnete die Kellertür. Er hatte sich auf einiges eingestellt, und er war auch gewillt, die Goldene Pistole als ultimative Waffe einzusetzen, obwohl Harold Quentin Beas Mann war. Aber er konnte sie wieder wegstecken, denn der Ritter tat nichts.
Er hockte auf einem Schemel, den er so hingestellt hatte, dass er auf die Türen schauen konnte. Das Schwert lag über seinen Knien, die Lanze mit der roten Kugel hielt er mit der linken Hand fest, das Ende auf den Boden gestützt.
Er saß in der Dunkelheit, was Bill ändern wollte. Der Lichtschalter war schnell gefunden, und ein nicht eben helles Licht erfüllte den kleinen Kellerraum.
Es standen verstaubte Regale an den Wänden, die von unten bis oben mit leeren Weckgläsern gefüllt waren. Die Gefäße bildeten lange, blitzende Reihen, auf die das Deckenlicht hin und wieder einen schwachen Schein warf.
Bill drehte sich um.
Die beiden Frauen waren auf der Türschwelle stehen geblieben, während er tiefer im Kellerraum stand. Bea konnte den Anblick noch immer nicht fassen. Sie hielt eine Hand vor ihren Mund gepresst, um nicht laut herauszuschreien.
Bisher hatte Harold – oder wer immer es sein mochte – noch kein Wort gesprochen. Er starrte nur gegen die vor der Tür versammelten Personen, und Bill forschte in seinem Gesicht nach.
Es sah nicht einmal schaurig oder böse aus. Es war ein völlig normales Männergesicht mit etwas harten Zügen. Mit diesem Gesicht hatte der Mann sicherlich Chancen bei zahlreichen Frauen, denn er war dazu mit einem kräftigen Körper ausgestattet, als würde er täglich ein Fitness-Studio besuchen.
Bill Conolly gefiel das Schweigen nicht. »Wer bist du?« fragte er mit deutlicher Stimme.
»Goddem!«
»Wer ist Goddem?«
»Ich bin der Henker des Herzogs!«
»Von welchem Herzog?«
»Herzog Leopold!«
Bill begriff nichts. Er wollte noch mehr fragen, aber hinter ihm stöhnte Bea Quentin auf. Sheila versuchte, sie zu beruhigen, sie schaffte es nicht. Bea hatte sich gegen sie fallen lassen und ihr Gesicht in Sheilas Mantel vergraben. »Gott, es ist seine Stimme. Es ist die Stimme meines Mannes, Harold hat gesprochen…«
Bill ahnte, was in dieser Frau vorging. Auch er spürte die Kälte wie Eiswasser in seinen Adern rinnen, aber er riss sich zusammen und kehrte zum Thema zurück. »Du bist nicht der Henker. Du hast einen anderen Namen. Du heißt Harold Quentin. Erinnere dich!«
»Ich bin der Henker!«
»Nein!« sagte Bill. »Das bist du nicht. Du bist derjenige, der in Dürnstein war, zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter. Du hast eine Tochter, die Iris heißt. Du bist ihr zur Ruine gefolgt, und du hast gesehen, wie sie den Mann mit den Rosen traf und an diesen Blumen gerochen hat…«
»Rosen?«
»Ja, Rosen, und eine ist besonders gut zu erkennen. Sie ist länger als die anderen, und sie strahlt in einem hellen Blau.«
Bill hatte die richtigen Worte gesagt, denn der Henker runzelte die Stirn, als müsste er über gewisse Dinge noch richtig nachdenken
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