0828 - Der Henker des Herzogs
Zeit? Warum habe ich ihn bei meinen Freunden gesehen? Wie ist das möglich?«
Mit einer verzweifelten Geste hob Richard Löwenherz die Schultern. Diese Bewegung zeigte all seine Ratlosigkeit an, und er schaute auf die blaue Rose, die ich ihm zurückgegeben hatte, als könnte er darin die Lösung entdecken. Sie aber öffnete sich ihm nicht, nur mir hatte sie gezeigt, zu was sie fähig war.
»Die Zeiten sind durcheinander geraten«, sagte ich mit leiser Stimme. »Ich sehe im Augenblick keine Lösung. Etwas läuft an mir vorbei und lässt mich gleichzeitig zu einem Spielball werden. Weder du noch ich können hier bestimmen, wir müssen uns auf andere Kräfte verlassen, und mit denen finde ich mich nicht zurecht.«
»Nimm es doch so hin.«
»Das muss ich ja. Vorhin habe ich noch gedacht, dass sich alles zum Guten wenden wird, jetzt aber bin ich mir nicht mehr sicher, und ich verspüre Furcht. Es wird etwas passieren, die Rose hat mich gewarnt, sie hat mir etwas Besonderes gezeigt, in dem Freunde von mir eine Rolle spielen. Aber ich sehe den Zusammenhang nicht. Warum ist der Henker Goddem bei ihnen erschienen?«
***
Der König schwieg.
Auch ich wusste keine Erklärung, so sehr sich meine Gedanken auch drehten und wendeten. Ich fand nicht den richtigen Absprung, um zu einem Resultat zu gelangen.
Etwas lenkte uns beide ab.
Wir hörten vor der Tür Geräusche. Harte Tritte, das Klirren von eisernen Waffen. Der König trat einen Schritt zurück. Er schaute auf die Rose, weil er einen Platz für sie suchte, aber kein Versteck auf die Schnelle fand.
»Gib sie mir, bitte.«
»Gut.«
Ich steckte sie in die Innentasche meiner Jacke. So blieb sie den Blicken der anderen verborgen. Es war höchste Eisenbahn geworden, denn wieder wurde die Tür von außen entriegelt.
Diesmal torkelte kein Gefangener in unseren Kerker. Stattdessen erschienen zwei schwer bewaffnete Soldaten, die sich innen zu beiden Seiten der Tür aufbauten.
Sie waren nicht allein, sie warteten auf eine dritte Person, deren harte Tritte wir genau hörten.
Der offene Eingang verdunkelte sich für einen Moment. Noch ein Schritt, und sie hatten die Schwelle überwunden.
Mir blieb fast das Herz stehen, als ich den Mann sah und auch sofort erkannte.
Es war der Henker Goddem, und er war bestimmt nicht wegen des Königs erschienen…
***
Obwohl die Erde kalt und feucht war, hatte sich Professor Chandler hingesetzt und seinen Rücken gegen die raue Wand gelehnt. Durch das offene Fenster wehte der Nachtwind und brachte eine kalte Brise mit. Chandler starrte ins Leere, auch Suko und Iris wussten nicht, was sie sagen sollten. Ihnen fehlten die Worte, besonders dem Mädchen, das mit seiner Maske Schwierigkeiten hatte, denn immer wieder hob es einen Arm an und fuhr mit dem ausgestreckten Finger über die Haut. In der Zwischenzeit hatte sie schon einiges abgekratzt und abgeschabt, was Suko auffiel. Er bat Iris, dies zu lassen.
»Aber es juckt.«
Suko nahm die Lampe. Er leuchtete in das Gesicht des Mädchens.
Iris schaffte es nicht mehr, den Kopf schnell zur Seite zu drehen.
»Bleib so.«
Das Kind blieb stehen, als wollte es Suko bewusst zeigen, was es sich angetan hatte.
Iris Quentin bot einen Anblick, der Suko schlucken ließ. Sie hatte sich durch Kratzen oder Scheuern die Schminke an der rechten Gesichtshälfte entfernt. Auch die gesetzten Spritzen hatten ihre Wirkung verloren. Die Haut war nicht mehr glatt, sie hatte wieder die Form angenommen, wie Suko sie schon kannte. Eine faltige, tief eingefurchte Greisenhaut. Während die andere Gesichtshälfte sich noch so zeigte, wie sie angeschminkt worden war. Iris war ein Zerrbild der Figur Dr. Jekyll und Mr. Hyde.
Sie weinte plötzlich. »Ich konnte nicht mehr anders«, sagte sie unter Tränen. »Es war nicht mehr auszuhalten. Es hat so gejuckt und fast schon wehgetan. Das ist jetzt vorbei. Ich laufe wieder so herum, Suko.«
Er konnte dem Kind nicht böse sein. Was wusste er denn schon, was Iris durchgemacht hatte. »Es ist schon gut«, sagte er. »Wahrscheinlich brauchen wir das neue Gesicht auch nicht mehr.«
»Aber ich will mein richtiges zurückhaben.«
»Das klappt noch.«
»Nein, nein, nein!« schrie sie. »Ich glaube es nicht mehr!« Sie drehte sich um und lief auf die Wand zu. Ihre Stirn drückte sie gegen das alte Gestein. Als Suko sie berührte, um sie zu trösten, schüttelte sich das Mädchen.
Er wusste nun, dass es besser war, sie allein zu lassen. Iris musste einmal durchdrehen, es
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