0828 - Der Henker des Herzogs
gehörte einfach dazu. Er hatte sich sowieso schon darüber gewundert, wie stark sie sich unter Kontrolle hatte.
Professor Chandler war wieder aufgestanden. Er wanderte von einer Seite zur anderen, schüttelte immer wieder den Kopf und erklärte dabei, dass es einzig und allein seine Schuld war. »Ich habe nicht Acht gegeben.« Er schlug gegen seine Stirn. »Ich war in meinem Forscherdrang so verrückt, mit den Zeiten zu spielen. Plötzlich brach alles über mir zusammen. Ich hätte gewisse Dingeruhen lassen sollen. Aber nein, ich musste ja wieder anfangen zu experimentieren. Magie und die Mathematik, sie passen zusammen, ich habe es bewiesen. Ich habe die Verbindungen hergestellt und die Suppe aufkochen lassen.«
»Es war ein Zufall, Professor.«
»Nein, Suko, nein, das war kein Zufall.«
»Warum nicht? Sie hätten auch in anderen Dimensionen landen können, oder etwa nicht?«
»Das hatte ich zuerst auch gedacht, aber daran kann ich nicht so recht glauben. Ich habe mich mit der Geschichte beschäftigt, ich habe etwas über die Blume erfahren. Ich wusste nicht genau über sie Bescheid, aber ich kannte gewisse Dinge. Sie ist durch viele Legenden gegeistert, sie verschwand dann im Tunnel der Zeiten, aber ich hatte immer das Gefühl, dass sie nicht zerstört worden war. Ich – ich wollte sie zurückholen, ich wollte sie anschauen, und ich habe es geschafft. Ich bin hierher gekommen, weil ich wusste, dass es hier Dinge gibt, die noch nicht aufgearbeitet worden sind. War es Zufall, dass die Familie Quentin hier in Dürstein ihren Urlaub verbrachte?«
»Ich denke schon«, sagte Suko.
»Nein, es war kein Zufall. Es war Fügung, Schicksal. Ja, da gerieten die Linien des Schicksals zusammen. Wer von uns kann denn heute noch sagen, was real ist oder was nicht? Die Mathematik wurde revolutioniert durch Einstein, aber auch sein Weltbild verschwindet. Andere Denker haben die Menschen mit Modellen ins Grübelngebracht. Auch ich gehöre dazu. Ich verfolge eine bestimmte Theorie, dass es eben keine Zukunft mehr gibt, Suko.«
»Daran glauben Sie?«
»Fest sogar.«
»Das müssen Sie mir erklären, aber einfach bitte.«
»Ich kann es versuchen. Stellen Sie sich vor, Sie heben einen Stein auf und werfen ihn weg. Dieser Stein fliegt, und stellen Sie sich weiter vor, dass ihm nicht der geringste Widerstand entgegengesetzt wird, dann wird es irgendwann in einer nicht zu bestimmenden Zeit dazu kommen, dass der Stein wieder zu Ihnen zurückkehrt und sie ihn auffangen können, wenn Sie noch immer an dem gleichen Ort stehen. Es hängt eben mit der gesamten Existenz zusammen, die wir Leben nennen. Dazu zähle ich nicht nur unsere Welt, ich meine das gesamte All, das der Stein auf seiner Reise durchwandert hat. Das All ist gekrümmt, es ist eine Kugel, es dehnt sich aus und wird trotzdem nicht größer, und die Zeit ist deshalb so verflucht relativ. Ich glaube nicht daran, dass es Dinge in der Zukunft gibt. So wie der Stein zu Ihnen zurückkehren wird, so wird auch alles andere wiederkommen. Es ist alles schon einmal passiert, Suko. Auch unser Leben, wir selbst erleben nur die Rückkehr. So nur kann ich mir erklären, dass sich Zeiten miteinander mischen und man als Wissender Zeitlöcher schaffen kann, wobei man in die Vergangenheit reist, die dann nur subjektiv eine Vergangenheit ist, denn tatsächlich wird sich ja alles wiederholen.«
Suko schwieg.
Chandler lachte kratzig. »War das zu kompliziert für Sie?«
»Nein, überhaupt nicht, da ich diese Theorie kenne.«
»Und was sagen Sie dazu?«
»Ich kann es glauben, ich muss es aber nicht. Wissen Sie, Professor, uns unterscheidet etwas Bestimmtes.«
»Was denn?«
»Sie sind ein Mensch, der global denkt, der alles in einem großen Zusammenhang sieht. Das tue ich auch manchmal, aber ich versuche immer, so etwas zu unterdrücken, weil ich mich jedes Mal auf einen bestimmten Fall konzentrieren muss. Ich habe mir da meinen Bereich ausgesucht, den ich nicht verlassen will. Diese Gedanken würden mich von meiner eigentlichen Arbeit nur ablenken. Deshalb beschäftige ich mich im Gegensatz zu Ihnen nicht damit.«
Chandler lächelte. »Wissen Sie, Suko, das ist ein Verhalten, zu dem ich Ihnen nur gratulieren kann. Ich schaffe so etwas nicht. Ich habe schon immer zu allgemein gedacht. Es mag daher kommen, dass ich mir schon immer gewünscht habe, ein großer Forscher zu werden. Für mich persönlich habe ich es geschafft, obwohl ich von meinen Kollegen nicht anerkannt wurde. Man hat
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