0828 - Der Henker des Herzogs
mich damals von der Uni verstoßen, als ich mit ähnlichen Lehren anfing wie vorhin bei Ihnen. Zum Glück besitze ich etwas Geld, ich kann also weiterhin unabhängig bleiben, aber ich habe mir geschworen, mich nicht mehr auf ein derartig gefährliches Pflaster zu begeben, denn so etwas ist sehr schlimm, weil nämlich Unschuldige mit in diesen Kreislauf hineingezogen worden sind. Wenn derartige Dinge geschehen, werde ich immer sehr nachdenklich.«
»Schaffen Sie es denn überhaupt, anders zu handeln? Dazu gehört eine Kontrolle, denke ich, und das Gebiet ist derartig groß und auch fremd, dass Sie es kaum schaffen können, alles zu kontrollieren. Oder irre ich mich da?«
»Nein, Sie irren sich nicht.« Chandlers Augen funkelten. »Das genau ist mein Problem. Ich werde bei meinen Forschungen immer wieder auf Tatsachen stoßen, die mir dann entgleiten.«
»Aber Sie werden noch kämpfen müssen«, sagte Suko. »Wir dürfen uns jetzt nicht in irgendwelchen Theorien verlieren, denn das wäre fatal. Ich habe Ihnen berichtet, was das Bild in der Rose zeigte. Ich sah meinen Freund John in einem Kerker, und ich sah ihn zusammen mit einem anderen Mann, der aussah, als wäre er über Jahre hinweg gefangen gehalten worden. Das alles sind Tatsachen.«
Chandler nickte. »Sie entstanden durch die Überlappung, durch das Zeitloch – wie auch immer. Durch mich hervorgerufen. Ich habe die blaue Blume aus der Vergangenheit geholt, die sich zu einer Todesrose entwickelt hat, doch ich wusste nicht, dass sie ihre eigenen Wege geht und ich keinen Einfluss auf sie habe.« Er hob die Schultern. »Dabei hätte ich es einfach wissen müssen, Suko, aber ich war mal wieder von meinem Forscherdrang wie besessen. Die Rose hat nichts von ihrer alten Kraft verloren. Schon der weise Merlin, der sie züchtete, hat es verstanden, mit den Zeiten zu spielen, wenn auch auf seine Weise. Es ist eigentlich traurig, dass ich Fragen beantworten kann, die die Vergangenheit betreffen und nicht die der Gegenwart.« Er deutete auf Iris. »Warum, zum Teufel, ist sie gealtert und Sie sind es nicht, Suko? Warum?«
»Sie haben den Teufel erwähnt, Professor. Vielleicht kann er Ihnen eine Antwort geben.«
»Ach, hören sie auf. Es war einfach nur dahingesagt. Nein, ich finde michnicht mehr zurecht. Ich habe mich einfach überschätzt.«
»Dann sehen Sie auch keine Chance, John Sinclair wieder zurückzuholen, denke ich?«
»Im Moment nicht.«
»Das ist schlecht.«
»Sie sagen es.«
Beide Männer schwiegen und wurden wenig später abgelenkt, als Iris auf die Blumen zuging. Die blaue Rose stach noch immer aus den anderen hervor. Sie hatte nichts von ihrer Farbintensität verloren, was Suko sah, als er den Strahl seiner Leuchte auf sie richtete.
»Was willst du, Iris?«
Sie antwortete im Gehen. »Ich – ich möchte mir auch die Rose anschauen.«
»Das hast du doch schon und…«
»Ich werde kein anderes Gesicht mehr bekommen. Du brauchst keine Sorge zu haben, Suko.«
»Und warum willst du hin?« Er war näher an den Blumen und baute sich davor auf.
Iris blieb stehen. »Sie haben mich gerufen.«
»Die – die Blumen?«
»Nur die eine.«
»Und was will sie von dir?«
»Ich soll in sie hineinschauen. Sie – sie will mir etwas zeigen, Suko. Das spüre ich genau. Geh zur Seite, ich muss es tun, es ist doch so irre wichtig für mich.«
»Ich würde sie lassen«, schlug Chandler vor.
Suko überlegte nicht mehr lange. Er hob die Schultern und trat einen Schritt zur Seite.
Das Mädchen blieb dicht vor der Wanne stehen. »Alle anderen sind verblüht und alt geworden, nur die blaue Rose nicht. Sie ist so etwas wie ein Wunder, nicht wahr?«
»Ja, das ist sie«, bestätigte Chandler.
»Ich möchte sie haben.«
Keiner hielt das Mädchen zurück, als es die Rose vorsichtig aus der Wanne hervorzog. Inzwischen glaubte auch Suko, dass Iris das Gleiche oder etwas Ähnliches sehen würde wie er. Schließlich hatte sich die Rose ihm gegenüber geöffnet, und sicherlich würde sie das auch bei Iris Quentin tun.
Er stellte sich so hin, dass er dem Mädchen über die Schulter schauen konnte.
Es störte sie nicht. Sie hielt die Rose schräg und schaute ebenso hinein wie Suko.
Er sah das Schimmern auf dem Grund des Blütenkelches. Zuerst nur als winzigen Reflex, das aber änderte sich schnell, als der kleine Spiegelteich entstand, durch dessen Oberfläche der Betrachter schauen und sich ein Bild ansehen konnte, falls es dann erschien.
Ja, da tat sich etwas.
Suko
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