083 - Das Gasthaus an der Themse
auflöste und man sich ohne Schutzmaske im Haus bewegen konnte. Den Stahlzylinder, in dem das Gas transportiert worden war, hatte man nördlich vom Haus gefunden. Die wichtigste Entdeckung machte man jedoch bei Tagesanbruch. Der alte Brunnen am Ende des Gartens war abgedeckt worden. Die Männer hatten das darauf angelegte Beet zerstört, den Holzdeckel weggenommen und die Erde samt dem Deckel in den tiefen Brunnenschacht geworfen. Ein neuer Deckel lag in der Nähe und daneben standen zwei Kistchen mit Stiefmütterchen.
Der mörderische Anschlag war mit einer Gründlichkeit geplant worden, die Wade nur bewundern konnte. Sogar die Stiefmütterchen hatten dieselbe Farbe wie jene, die von Henry gepflanzt, von den nächtlichen Besuchern aber unbarmherzig herausgerissen und in den Brunnen geworfen worden waren. »Und eigentlich«, sagte Wade, während er genußvoll den Kaffee trank, den sein Diener ihm vorgesetzt hatte, »sollten wir beide jetzt auch auf dem Grund des Brunnens liegen, und niemand wüßte, was aus uns geworden ist. Die Bande hat sogar daran gedacht, aus Dover ein fingiertes Telegramm an den Yard zu schicken, das meine Abwesenheit erklärt.« Henry schüttelte den Kopf. »Aber das Unglaublichste sind doch die Blumen. Greifen Sie sich den Kerl, der sie gekauft hat, und Sie ...«
»Genau«, sagte Inspektor Wade und machte sich auf die Suche nach Golly Oaks.
8
So kurz nach Tagesanbruch wollten noch nicht viele Leute ins »Mekka«. Wade war eben in die Straße eingebogen, die zum Club führte, als aus einem dunklen Winkel der wackeligen Treppe zum Fluß jemand sehr eindringlich seinen Namen rief. Der Inspektor drehte sich um.
»Halt, nicht weiter, Mr. Wade! Sie lauern Ihnen auf!« Da die Treppe schon hinter ihm lag, ging er zurück und spähte in das schattige Dunkel. »Aber Lila, was in aller Welt —« begann er. Und dann traf ihn etwas am Bein, er stolperte, und Lila zog ihn ein Stück die Treppe hinunter. »Sie haben gewußt, daß Sie allein kommen würden«, flüsterte sie. »Sie haben gesagt, daß Sie ganz bestimmt allein kommen.« Unklar wurde ihm bewußt, daß sie nur notdürftig angezogen war. Sie trug einen alten Herrenmantel über dem Nachthemd und war barfuß. Er versuchte, sich aus ihrer Umklammerung zu lösen, doch sie war halb verrückt vor Angst und hielt ihn krampfhaft fest. Er ließ sich von ihr die ganze Treppe hinunterziehen, bis zu der Stelle, an der die schleimigen Steinsrufen vom Wasser überspült wurden. Dünner Nebel lag über dem Fluß, und die Ankerlichter der zum Löschen oder Beladen bereitliegenden Trampschiffe waren nur ganz undeutlich zu sehen. Wade fühlte sich merkwürdig schwach, und als Lila ihn in ein kleines Boot schubste, fiel er auf der anderen Seite fast wieder hinaus. Im Handumdrehen war sie ihm gefolgt, machte das Boot los und ruderte mit ein paar langen, kräftigen Schlägen in die Flußmitte. Die Treppe, über die sie gekommen waren, lag im Dunkeln, die Straßenlaterne dort brannte nicht. »Warum sind Sie gekommen?« fragte Lila schluchzend. »Warum sind Sie nur gekommen?« Wade schaute zurück und sah plötzlich zwei bleistiftdünne Lichter aufblitzen. Außer zwei rasch aufeinanderfolgenden dumpfen Schlägen war jedoch nichts zu hören. Etwas prallte gegen die Bootswand und surrte dann wie eine wütende Wespe über das Wasser. Dann kam ihnen in der Flußmitte langsam ein Boot entgegen, das er sogar durch den Nebel als Polizeibarkasse erkannte. So laut er konnte, rief Wade die Kollegen an. Wieder schoß jemand von der Treppe her, und dort, wo die Kugel ins Wasser traf, stieg eine kleine Fontäne hoch. Lila hatte die Barkasse auch gesehen, die jetzt mit erhöhter Geschwindigkeit auf sie zukam. Schon nach ein paar Sekunden konnten sie längsseits gehen. Wade spürte, daß eine Kugel ihn am Bein erwischt hatte. Seine Stiefel waren feucht und schimmerten rot. Er sorgte sich jedoch nur um Lila, denn nachdem sie auf die Barkasse geholt worden war, brach sie fast zusammen. Das Polizeiboot hatte gewendet und fuhr jetzt mit voller Kraft zur nächsten Polizeistation. Dort bekam Lila heißen Kaffee und Brandy, und ihre Lebensgeister kehrten zurück. Trotz der dicken Decken, in die sie eingepackt war, zitterte sie am ganzen Körper. Als Wade kam, um nach ihr zu sehen, war sie noch immer kreideweiß. Sie hatte sich aber wieder ein bißchen gefaßt, und als er sie drängte, ihm alles zu sagen, was sie wußte, schüttelte sie den Kopf.
»Ich weiß nichts. Es war ein Alptraum.
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