083 - Morkans Horrorwürmer
die Schnüre. Der Mann spürte
gleichzeitig einen Schmerz in seinem rechten Fußgelenk, der ihn wild
aufschreien ließ und so heftig war, dass er meinte, im nächsten Augenblick die
Besinnung zu verlieren. Aber er durfte nicht ohnmächtig werden! Mit ungeheurer
Willenskraft zwang er die Schwäche und die Dunkelheit zurück, die von ihm
Besitz zu ergreifen drohten.
Wie
ein Pfeil flog er auf die unheimlichen, maskierten Priester zu, nahm keine
Rücksicht auf seinen gebrochenen Fuß. Der Verurteilte hatte die Arme noch auf
den Rücken gebunden. »Wehrt euch! Greift sie an! Sie sind weniger mächtig, als
sie zu sein scheinen. Ihr seid in der Überzahl, ihr könnt sie besiegen!« Jedes
Wort brüllte er laut und deutlich heraus, überschrie seinen Schmerz, um ihn zu
betäuben. Der junge Mann flog den Priestern, die wie erstarrt dastanden,
förmlich entgegen.
»Er
hat recht!«, rief da aus dem Hintergrund eine Frauenstimme. »Auf sie! Mirana!
Meine Tochter... komm zurück...!«
Aus
der vorderen Reihe der Menge, die hinten im Halbdunkel zusammengedrängt stand,
löste sich eine verschleierte Frau. Sie rannte auf die sieben Mädchen zu, die
wie in Trance der Landzunge entgegengingen, auf der sich das blutige Drama
abspielen sollte, das seit Jahrhunderten die Menschen dieser Region in Atem
hielt.
Niemand
hatte es bisher gewagt, den mächtigen Priestern die Stirn zu bieten und etwas
gegen die grausamen Menschenopfer zu unternehmen. Da war ein junger Mann, ein
Prinz aus dem Norden, der es riskiert hatte, sich in die Geheimgesellschaft
einzuschmuggeln. Aber das Schicksal war gegen ihn. Er wurde entlarvt und zum
Tode verurteilt. Seine Hinrichtung wurde nach dem Gesetz der Priester in
stockfinsterer Nacht mit dem Tod von sieben Jungfrauen zusätzlich durchgeführt.
Mirana, eins der verschleierten Mädchen, blieb stehen, als der Ruf seiner
Mutter es erreichte.
Das
Ritual war unterbrochen!
Der
Mut und die Verzweiflungstat des Prinzen sprang auf die Menschen über. In die
Menge kam Bewegung. Mehrere Personen, vor allem die betroffenen Frauen, von
denen bisher mit gnadenloser Härte verlangt worden war, dass sie ihren Schmerz
nicht zeigten, handelten. Sie sahen eine Chance, ihre Töchter, die sie liebten,
aus den Klauen der unbarmherzigen Priester zu befreien. Von hinten wogte die
aufgebrachte Menge auf die Priester zu. Von vorn kam der verzweifelte,
todesverachtende Prinz. Mit gesenktem Kopf wollte er einen der Priester
anrempeln und zu Fall bringen. Nicht mal mit bloßen Händen konnte er den
Angriff durchführen, weil die Fesseln ihn daran hinderten. Der mittlere
Priester ließ die beschwörend erhobenen Arme sinken.
Seine
Hände fuhren unter das Gewand. Blitzschnell führte er die Bewegung aus. Matt
blinkte es metallisch zwischen seinen Händen. Ein Schwert! Er führte nur einen
einzigen Hieb damit aus. »Stirb! , « stieß der hinter der Wurmmaske
Verborgene wütend hervor. Die Klinge bohrte sich in den Leib des Mannes, der
sich, in den Augen der Priester, eines todeswürdigen Verbrechens schuldig
gemacht hatte.
Das
Schwert hinterließ eine lange, tiefe Wunde im Bauch des Verurteilten. Er
stürzte zu Boden und wurde mit einem Fußtritt des Mörders auf dem glatten,
glitschigen Felsuntergrund beiseite befördert. Gleichzeitig handelte die zweite
der unheimlichen Gestalten. Ein geheimer Mechanismus wurde betätigt und die
Landzunge senkte sich ächzend und knirschend nach vorn, wurde zu einer schiefen
Ebene, auf der nicht nur der Körper des Ermordeten Richtung Meer rutschte,
sondern auch die Menschen ins Straucheln und Stolpern gerieten, die es wagten,
den Aufstand zu proben! Schreie, aus Wut, Zorn und Schmerz hervorgestoßen,
erfüllten die Luft.
Die
Menschen torkelten gegeneinander, suchten aneinander Halt zu finden und rissen
sich stattdessen gegenseitig zu Boden und damit ins Verderben. Das Wasser unten
schäumte und spritzte, als die Felsplatte sich absenkte. In der Brandung und
den schäumenden Wellen zeigten sich dunkle Schatten. Sie erinnerten an riesige
Schläuche. Die Bestien aus der Tiefe. Weit aufgerissene, dunkelrote Rachen
schoben sich aus dem aufgewühlten Wasser. Der durch einen Schwerthieb Ermordete
war der Erste, der in einem Rachen verschwand.
Der
mittlere Priester mit dem Schwert triumphierte. Sein Lachen mischte sich unter
das Tosen und Brüllen der Brandung, das Rauschen und Pfeifen des Windes und die
Schreie der Menschen. »Nicht du wirst siegen. Dies, Prinz Koantas, ist
dein
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