0831 - Leichen frei Haus
Diese Kameraden kannten sich verdammt gut aus.
Sehr bald hatte auch uns die Düsternis des Friedhofs geschluckt, und wieder umgab die Kälte unseren Körper wie eine Glocke. Der Wind war tatsächlich in den letzten Minuten eingeschlafen. Zumindest ich hatte manchmal den Eindruck, durch kalte Watte zu schreiten, obwohl weder Dunst noch Nebel über dem Gelände lag.
Bäume umstanden uns wie starre Totenwächter, die auch die Gräber bewachten. Auf vielen Zweigen schimmerte das Eis silberblau. Vor unseren Lippen dampfte der Atem, und trotz der dicken Schuhsohlen hatte ich kalte Füße bekommen.
Das alles war vergessen, als wir zwei Dinge zugleich bemerkten. Licht und Stimmen.
Sofort blieben wir stehen.
Rechts und links des Wegs befanden sich die Gräber mit den unterschiedlich hohen Steinen, und Sekunden später hatten wir dahinter Sichtschutz gefunden.
In der Dunkelheit kann man nur schwer feststellen, wie weit bestimmte Lichter entfernt waren, und wir sahen ein Licht, das nicht allein auf einem Fleck blieb, zudem nicht von einer Taschenlampe stammte, weil es einfach zu weich war und zudem noch hin- und hergeschwenkt wurde. Meiner Ansicht nach mußte da jemand eine Laterne halten.
Wir hörten auch Stimmen.
Was gesprochen wurde, konnten wir nicht verstehen, aber diese Stimmen waren von teils dumpfen und teils knirschenden Geräuschen begleitet, so, als wäre jemand dabei, ein Loch in die Erde zu graben. Wir hatten beide den gleichen Gedanken, und Suko nickte mir zu. »Das ist es doch, John, die holen einen Toten aus der Erde. Soonie hat recht behalten. Verdammt noch mal.«
Für uns hatte es keinen Sinn, stehenzubleiben. Um mehr sehen zu können, mußten wir einfach näher heran, und wir bewegten uns beide sehr vorsichtig, wobei wir auf den normalen Weg verzichteten und auf den Gräbern blieben, was uns die Toten hoffentlich verziehen.
Wir mußten uns an Büschen und Pflanzen vorbeidrücken oder ab und zu die Köpfe einziehen, damit die Zweige nicht wie kalte Totenarme über unsere Köpfe strichen.
Der Himmel war klar geworden.
Ein beinah voller Mond glotzte auf die Erde nieder, begleitet vom kalten Licht der Sterne. Man konnte durchaus von einer schönen Winternacht sprechen, nur hatten wir dafür keinen Blick.
Das Laternenlicht bewegte sich nicht mehr. Dafür sahen wir die Lichtanlagen verschiedener Taschenlampen, die die Finsternis durchstachen, und wir sahen auch, daß sie schräg zu Boden gerichtet waren, als suchten sie ein bestimmtes Ziel.
Die Stimmen klangen verbissen und beinahe wütend. Wir waren so nahe herangekommen, daß wir die ersten Worte deutlicher verstehen konnten, sie aber nicht begriffen.
Ich schaute Suko an. »Das sind Fremde.«
»Ich weiß.«
»Chinesisch ist das nicht - oder?«
»Nein.«
»Kann man denn von einer Ähnlichkeit mit deiner Heimatsprache sprechen?«
»Für Europäer schon, nicht für mich.«
»Weißt du Bescheid?«
Suko machte es spannend. »Diese Männer vor uns unterhalten sich auf Japanisch.«
Ich war nicht großartig überrascht, weil ich mir das schon gedacht hatte. Überraschung zeigte sich trotzdem, und für einen Moment verschwand auch das Leben aus meinen Augen, und gleichzeitig jagten sich die Gedanken.
Japaner also!
Warum, wieso? Was hatten die hier zu suchen? Ich dachte an die gefährliche japanische Mafia, an die Yakuza, und bei diesem Gedanken rieselte mir der Schauer nicht wegen der Kälte über den Rücken, denn mit diesem brutalen Verein hatten wir schon unsere Erfahrungen sammeln können. Es war eine Bande, die große Teile des japanischen Lebens und der japanischen Wirtschaft beherrschte, Milliarden verdiente und den berüchtigten Triaden, der chinesischen Mafia, an Brutalität in nichts nachstand. Mir war auch bekannt, daß sich verschiedene Gangsterorganisationen gerade Europa als neuen Tummelplatz ausgesucht hatten, aber daß wir in diesem Fall über die Japaner stolperten, damit hatte ich nicht gerechnet.
Noch allerdings stand nicht fest, daß es sich tatsächlich um Yakuza-Leute handelte, doch Suko ging ebenfalls davon aus, wie er mir flüsternd mitteilte.
»Wenn ja, was haben sie mit den Leichen vor?«
»Wir sollten sie fragen.«
Meine Lippen zuckten kurz, doch zu einem Lächeln sollte es nicht kommen. Die Lage war zu ernst geworden.
»Wie machen wir es?«
»Von zwei Seiten.«
Damit war ich einverstanden. Zudem mußten wir uns heranschleichen und es mit einer Schocktherapie versuchen. Suko legte mir für einen kurzen Moment die
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