0835 - Geheimnis eines Toten
her. »Verschwindet!«, befahl er ihnen barsch und kümmerte sich nicht weiter um sie. Tatsächlich blieben sie zurück.
Der Schwarzmagier verdrängte diesen Zwischenfall aus seinen Gedanken.
Schließlich erreichte er das Nordmeer. Die Wellen schlugen rauschend an den Strand, der aus zerklüfteten, scharfkantigen schwarzen Steinen gebildet wurde.
Schon von weitem sah er die von Korom bezeichnete Boje, auf der der Seewächter seinen Dienst versah. Es handelte sich um ein braunes, knapp zwei auf zwei Meter großes Gestell aus Holz, das wild auf den Wellen tanzte.
Der Himmel über dem Meer war grau und wolkenverhangen; ganz anders als über dem Land. Ohne ersichtlichen Grund wechselte das Klima abrupt; eine weitere Eigenart, die Lakor ungerührt zur Kenntnis nahm. Noch während er am Strand näher auf die Boje des Seewächters zulief und sich dabei vorsichtig einen Weg durch die schwarzen Steine bahnte, zerriss ein gewaltiger Donnerschlag die Stille. Die Energie der aufeinander prallenden Luftschichten entlud sich in einem Gewitter aus Blitzen.
Lakor erreichte die Stelle des Strandes, die der Boje am Nächsten lag. Der Schwarzmagier fixierte den Wächter. Er war ein bleiches Knochengerippe, das in rote Stofffetzen gehüllt war, die Überreste seiner ehemaligen Kleidung. Lange schwarze Haare wehten von dem ansonsten völlig skelettierten Schädel. Es stand inmitten der heftig auf den Wellen schaukelnden hölzernen Boje. Mit einer Hand umklammerte es eine Strebe der Boje, die andere streckte es dem Ankömmling entgegen, winkte ihn herbei.
Ein weiterer Blitz zuckte auf, gleichzeitig donnerte es dröhnend. Kaum verebbte dieser natürliche Lärm, rief der Seewächter ihm etwas entgegen. »Was führt dich zu mir?«
Statt einer Antwort lief Lakor auf die Boje zu. Er setzte einen Fuß auf das aufgewühlte Meer. Er versank nicht. Über das Wasser ging Lakor weiter.
»Ich wünsche eine Auskunft«, begann er sein Anliegen vorzutragen.
»Ich habe dich erwartet«, drang es aus dem Maul des Skeletts. Der Geruch verfaulten Seetangs entströmte ihm. »Ich beobachte dein frevlerisches Tun schon, seit du Mirellk betreten hast.«
»Du wusstest von mir?«
»Ich bin der Seewächter. Es ist meine Aufgabe, alles zu wissen. Und ich weiß auch, weswegen du gekommen bist.«
»Wirst du mir helfen?«
Das Skelett starrte ihn aus leeren Augenhöhlen an.
***
»So kam es dazu, dass ich Lakor aus seinem Grab erweckte«, beendete der Zwitter den ersten Teil seiner Erzählung, die mit dem Protokoll seines Aufenthaltes in Caermardhin begonnen hatte.
Zamorra und Nicole standen ganz im Bann der Erzählung. »Du hast dich seitdem sehr verändert?«, fragte der Meister des Übersinnlichen noch einmal nach.
»Meine Verwandlung hat einen vorläufigen Höhepunkt erreicht. Die schwarze Magie aus der Hölle der Unsterblichen ist zu einem Teil von mir geworden. Deshalb würde dein Amulett aller Wahrscheinlichkeit nach in mir einen Gegner sehen.«
»Es befindet sich im Château, wie du es dir gewünscht hast.«
»Erzähle weiter«, bat Nicole. »Sag uns, wieso Lakor zu deinem erbitterten Feind - deiner Nemesis, wie du ihn nennst - geworden ist.«
»Er hasst mich dafür, dass ich ihn zurückgerufen habe. Sein Geist musste die Hölle verlassen, wo er sich dem Treiben der Dämonen angeschlossen hatte.«
»Deshalb will er dich vernichten?«
»Mehr als das. Noch am Grab schwor er mir, mich zu bestrafen, mich zu qua len…«
Tagebuch eines Toten:
Protokoll der beginnenden Feindschaft
Lakor schleuderte mir seinen ganzen Hass entgegen. »Wegen dir muss ich wieder auf der Erde weilen! Du hast mich der Erfüllung entrissen!«
Mich schauderte damals, bei der-Vorstellung, in der Hölle Erfüllung zu finden. Ein Teil in mir hätte vor Entsetzen schreien wollen - das, was einmal Torre Gerret gewesen war. Er hatte zu seinen Lebzeiten mit der Hölle paktiert, und schließlich war er an einem Ort wie ihr gelandet, in der Hölle der Unsterblichen. Die Worte des wiedererweckten Schwarzmagiers schienen mir wie bitterster Hohn.
Der Gedanke an Torre Gerret und seine entsetzliche Qual während der Gefangenschaft drohten, mich zu überwältigen. Nackte Angst wollte mein Inneres gefrieren lassen.
Die lebendigen, fleischigen Augen in der Skelettfratze meines Gegenübers starrten mich an. Der Anblick lähmte mich schier, ließ mich meine eigenen gewaltigen Kräfte vergessen.
Damals war es das erste Mal, dass ich das volle Ausmaß der KRANKHEIT in mir
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