0835 - Im Kreisel der Angst
sie nicht. Sie blieb stehen, zog die Arme nur an den Körper und umfaßte sich selbst, als wollte sie dafür sorgen, daß dieser Geist auf keinen Fall mehr den Körper verließ. Er mußte bleiben, er mußte sich in ihr austoben, er hatte sie gefunden - endlich, und er drang immer tiefer ein, wobei sie ihm noch half, denn Amy schluckte ihn intervallweise herunter, beobachtet von ihren beiden Freunden, die die Welt nicht mehr verstanden.
»Amy…?« Wesley sprach ihren Namen schon beinahe zärtlich aus. »Amy, ich bitte dich…«
Sie gab keine Antwort und war voll und ganz auf sich selbst konzentriert. Noch immer hielt sie sich umfangen, dabei hatte sich ihr Gesicht verändert, denn auf ihren Lippen lag jetzt ein wissendes und auch irgendwo gefährliches Lächeln.
Dann drehte sie sich um.
Da Amy am weitesten vorgegangen war, sah sie nach der Drehung die beiden Freunde vor sich. Sie sah fast nur die blassen Gesichter, denn die Körper verschmolzen wegen ihrer dunklen Kleidung mit der Umgebung. »Es geht euch nicht gut, wie?« fragte sie leise.
»Richtig«, flüsterte Gil, »das ist genau richtig. Aber was ist mit dir? Geht es dir gut?«
»Bestens.«
»Und?«
»Nichts und«, erwiderte sie. »Ich bin gefüllt worden. Er hat mich erwartet, er ist in mich eingedrungen. Der Schlangengeist ist zu meinem Freund geworden.«
Zum erstenmal war dieser Begriff gefallen. Keiner ihrer Freunde konnte ihn nachvollziehen. Sie wußten einfach nicht, was ein Schlangengeist war, aber sie erinnerten sich an den dünnen Rauchfaden, der in Amy sein Ziel gefunden hatte.
»Ich bleibe nicht länger hier«, sagte sie und setzte bereits ihren rechten Fuß nach vorn. »Ich werde gehen.«
»Wohin denn?« keuchte Dragg.
»Weg!«
Beide verstanden die Welt nicht mehr. Gil Atoro knirschte mit den Zähnen. Er schaute auf Wesley, weil er sehen wollte, was er unternahm, aber Dragg tat nichts.
Er war einfach noch immer zu überrascht. Es paßte ihm nicht, was da geschehen war. Vor allen Dingen deshalb nicht, weil er es selbst nicht nachvollziehen konnte. Hier lief einfach zu viel verkehrt. Sie waren in etwas hineingeraten, aus dem sie jetzt nicht mehr hervorkriechen konnten. Sie waren frei und fühlten sich trotzdem als Gefangene. Da hatte jemand anderer die Kontrolle übernommen. Aber einer, den sie nicht definieren konnten, der irgendwie zu fremd war, um ihn überhaupt zu begreifen. Deshalb waren sie zu einer Reaktion nicht fähig und schauten einzig und allein ins Leere.
Davon ließ sich Amy nicht ablenken. Sie wußte, was sie zu tun hatte. Sie ging mit steifen Schritten, und ihre Körperhaltung drückte einen gewissen Stolz aus.
Ihr Ziel war die Tür.
Um Gil und Wes kümmerte sie sich nicht. Ihr war es einzig und allein wichtig, das alte Lagerhaus zu verlassen, um von nun an ihren neuen Weg zu gehen. Keiner, sie ausgenommen, wußte, wo er hinführte, aber Wes und Gil wollten sie einfach nicht gehen lassen. Atoro streckte seine Hände aus.
Die langen Fingernägel stachen wie kleine Messerspitzen vor. Es hatte den Anschein, als wollte er Amy damit anbohren.
Ihr Blick packte ihn, nagelte ihn fest.
Gil bekam es mit der Angst zu tun. Diese Augen waren anders geworden. Sie gehörten nicht mehr Amy. Das waren die Pupillen eines Fremden, wobei er diesen Fremden überhaupt nicht definieren konnte. Es gab keinen Begriff, er hatte keinen Namen, er war einfach vorhanden, und es war auch kein ER, sondern ein ES.
Die Furcht brodelte in ihm. Auf seinem Rücken lag ein kalter Schauer, der sich immer mehr festfraß, und wie unter einem Zwang stehend, ließ er die beiden Hände sinken.
Im Zeitlupentempo sanken sie nach unten. Die Finger bogen sich wie starre Würmer nach innen, bald hatten die Hände zwei Fäuste gebildet, aber das war auch alles.
Er hielt sie nicht mehr auf, doch das schwere Seufzen sagte eigentlich genug.
Amy ging weiter.
Noch immer stolz, den Kopf erhoben. Eine Königin, die ihren neuen Weg gefunden hatte, und sie näherte sich allmählich der zweiten Person, Wesley Dragg.
Der wußte noch immer nicht, was er unternehmen sollte. Er hatte sich eigentlich immer als so etwas wie einen Anführer der Gruppe bezeichnet, aber das war vorbei. Er wußte genau, daß er hier vor Problemen stand, die er nicht erfaßte und er deshalb auch keine konkrete Lösung dafür finden konnte. Es war einfach alles anders, denn auf ihn kam nicht mehr Amy zu, sondern eine fremde Person, die jetzt in ihrer eigenen Welt lebte, obwohl sie in der anderen
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