0836 - Vision der Vollendung
...
Natürlich war sie nicht immer alt gewesen, doch immer häßlich. Diese bittere Erkenntnis hatte sie zänkisch und unzufrieden und herrschsüchtig werden lassen.
Wenn sie heute ihrem Vecculi-Noema den Spiegel vorhielt, so traf sie jedoch zusätzlich die verblüffende Analyse, daß auch schon damals die Androgynität von Geist und Körper viel zu ihrer Entwicklung beigetragen hatte.
Sie hatte sich immer einen schönen Körper gewünscht, und deshalb war sie nicht nur auf ihre besser aussehenden Geschlechtsgenossinnen neidisch gewesen, sondern mehr noch wahrscheinlich auf Männer mit vollkommenen Körpern.
Es wurde für sie zur fixen Idee, daß nur in einem schönen Körper ein schöner Geist wohnen konnte.
Doch brach diese Ansicht nie recht durch. Sie verdrängte diese Wunschvorstellung, was zweifellos zu ihren Komplexen führte.
Was wunder, daß sie als Konzept nicht ihrem Körper den Vorzug gab, sondern in einem anderen auftrat. Und zwar war dies ein Männerkörper, an dem es einfach nichts auszusetzen gab.
Indira Vecculi war zufrieden.
Vielleicht war es ein Zufall, daß die anderen Bewußtseine durchwegs männlich waren. Es mochte aber auch sein, daß ES diese Auslese bewußt getroffen hatte, weil ES Indiras Androgynität erkannte und ihr Rechnung trug.
Indira hatte schon immer als rechthaberisch und herrschsüchtig gegolten, und so behauptete sich auch als Konzept ihr Noema.
Sie trat zwar in einem makellosen Männerkörper auf, aber alle kannten sie nur als „die Vecculi". Die männlichen Noemata des Vecculi-Konzepts ordneten sich ihr unter, sie waren dem Vecculi-Noema einfach nicht gewachsen.
Damit hatte Indira ihr lang ersehntes Ziel erreicht. Sie hatte einen schönen Körper. Nun konnte sie darangehen, ihren Geist zu entwickeln.
*
Indira Vecculi hätte ebensowenig ihre Entwicklung als Konzept voraussehen können. wie eines der anderen sechs Noemata in ihr.
Eigentlich brachte das Konzept alle Voraussetzungen mit sich, die man für eine Betätigung auf technologischem Gebiet brauchte.
Doch statt dessen ergab es sich, daß das Konzept ein Auge für die Topographie von Landschaften entwickelte Schon der erste Besuch auf einer fremden Welt deutete das an.
Indira Vecculi war mit zweihundert anderen Konzepten an Bord der WANDERER III gegangen, wie man das Raumschiff im Andenken an ES nannte.
Es herrschte große Aufregung an Bord, weil man zum erstenmal auf einem Planeten landete, der von ähnlicher Beschaffenheit wie Terra war. Damals waren die Konzepte noch ziemlich erdverbunden gewesen, wenngleich sie sich nicht mehr als „Terraner" sahen.
Sie waren Konzepte. Kinder von ES.
Aber irgendwie waren sie noch mit der Erinnerung an die Erde belastet. Das war kein Heimweh, sondern einfach Nostalgie.
Die WANDERER III landete auf der Sauerstoffwelt, und Indira wurde die Ehre zuteil, den Planeten zu taufen. Sie nannte ihn Edmond V- nach dem Noema, von dem ihr Konzept den Körper hatte.
Indira war sofort wie berauscht beim Anblick dieser exotischen Welt. Aber damit war nicht nur ihr ureigenstes Noema gemeint, denn die sieben Bewußtseine waren längst schon zu einem einzigen Ganzen verschmolzen.
Vor den Konzepten breitete sich eine unberührte Urwelt aus, die ihresgleichen im Universum suchte.
Riesige Bäume erhoben sich Hunderte von Metern in den Himmel. Manchmal waren die Stämme bis in eine Höhe von hundert Metern kahl, bevor sie sich dann in schlanke, pinienähnliche Spitzkronen verästelten.
Andere Bäume wieder waren von buschartigem Wuchs und dennoch nicht von geringerem Wachstum.
Es gab Bäume wie Gebirge, auf deren verfilztem, inselförmig vom Stamm ragenden Geäst ganze Gärten von Schmarotzerpflanzen blühten, ja, diese Geästinseln trugen ihrerseits wieder ganze Bäume anderer Gattungen.
Auf einem solchen Gebirgsbaum landete die Vecculi zusammen mit zwei anderen Konzepten in einem Schweber. Sie mußten Atemmasken tragen, weil die Luft vom Duft der unzähligen Blüten gesättigt war und ihnen förmlich den Atem raubte.
Die Vecculi erklomm die höchste Spitze des Gebirgsbaums und ließ sich hier zur Betrachtung der einmaligen fremden Natur nieder.
Sie hatte aus vier Kilometer Höhe einen einmaligen Überblick über die exotische Landschaft. Von hier oben sah alles so winzig aus, und alle Probleme wurden auf einmal nichtig und klein.
Indira fühlte sich wie einer der antiken Götter, die hoch vom Olymp auf die Welt der Sterblichen hinabblickten.
Und deshalb nannte sie diesen
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