0846 - Flucht aus Tilasim

Thema »Unsterblichkeit« neue Brisanz erlangt hatte.
    »Du hast meine Botschaft also erhalten«, ächzte Gerret. »Ich wusste, dass du…« Er hustete schwach, versuchte, sich aufzustützen, und brach wieder zusammen. Zamorra fing den Kopf ab, ehe er auf den Boden schmetterte.
    »Ich habe sie erhalten«, erwiderte der Meister des Übersinnlichen tonlos. Er erkannte sofort, worauf der alte Feind anspielte. Auch seine Erinnerung endete in dem Augenblick, ehe er aus dem Käfig in der Hölle der Unsterblichen befreit worden war. In seinem Fall war die Verschmelzung zum Zwitter jedoch eindeutig eine Verbesserung der Lage gewesen.
    Zuvor hatte Gerrets gepeinigte Seele in der Unsterblichenhölle gelitten. Tagein, tagaus, jede Sekunde der qualvollen Existenz nichts als Pein und Verlorenheit. Ein schreckliches Schicksal, brutale Psychofolter, die nur durch ein einziges Ereignis unterbrochen worden war.
    Als Zamorra in der Welt Samila an einem Dimensionsriss gestanden war, der in die Hölle der Unsterblichen führte, hatte Gerret das irgendwie bemerkt und ihm eine Botschaft geschickt. Eine Botschaft, in der er um Hilfe bat, den ehemaligen Feind anflehte, ihn zu befreien. [6]
    Für Torre Gerret war dies die letzte Erinnerung, die ihn mit Zamorra verband; von seiner Existenz als Zwitter wusste er nichts, denn er war - wie Millings - bei der Verschmelzung gestorben, um in anderer Form wiedergeboren und verwandelt zu werden.
    Gerret kicherte. »Also hast du es geschafft. Du hast mich befreit. Ich wusste es! Du vollbringst, was niemand anderem je gelingen könnte.«
    »Du täuschst dich.«
    Wieder ein Kichern, hoch und irr. »Bereust du es schon, ja? Fragst du dich, warum du deinem Widersacher geholfen hast?«
    »Die Dinge liegen etwas anders, Torre.«
    Jetzt gelang es dem alten Feind aufzustehen. »Das ist mir egal. Ich sehe nur, dass ich nicht mehr gefangen bin.« Er blickte Zamorra ins Gesicht. »Du hast mich befreit. Ich danke dir jetzt. Was danach kommen wird, wird sich weisen.«
    »Ich war unterwegs, dich zu befreien, doch…«
    »Du hast eine Schuld getilgt! Wegen dir war ich gefangen. Du hättest dort schmoren sollen, doch stattdessen hast du das Wasser des Lebens getrunken, das mir zustand, mir, mir, mir!« Es funkelte in seinem Blick.
    »Beruhige dich.«
    »Mir! Mir!« Der letzte Ausruf ging in einen von schierem Entsetzen erfüllten Schrei über. Gerret schlug die Hände vor die Augen und schrie immer weiter. Die Fingernägel bohrten sich durch die Haut an Stirn und Schläfen, Blut quoll aus kleinen Wunden und floss über die Hände.
    Zamorra packte erschüttert die Unterarme und bog sie herab.
    »Es war schrecklich!« Gerrets Mund blieb offen, die Kiefernmuskeln vibrierten. Er entriss Zamorra eine Hand und biss sich selbst auf den Daumen.
    »Helft mir!«, rief der Meister des Übersinnlichen. »Wir müssen ihn vor sich selbst schützen.«
    Gerret begann, zu lachen und eine Melodie zu summen, während Blut aus seinen Mundwinkeln rann.
    Zamorra dachte an die Geisteskrankheit des Zwitters, die ihren Ausgang nicht nur aus der Verschmelzung dreier Individuen genommen hatte, sondern auch aus Torre Gerrets gepeinigtem Ich. Wie krank Gerret gewesen war, wurde in diesen Augenblicken entsetzlich deutlich.
    Sid Amos war zuerst heran; er packte Gerrets linken Arm und hielt ihn fest. Zamorra selbst gelang es, den rechten Arm nach unten zu ziehen, als Gerrets Mund sich öffnete und die Hand freigab.
    Beim Blick auf den verletzten Daumen schnürte es Zamorra die Kehle zu. Die Bisswunde reichte bis auf den Knochen.
    Gerret begann zu toben. Sein Kopf flog herum, er starrte Amos aus funkelnden Augen an. Gleichzeitig trat er nach Zamorra, erwischte voll dessen Schienbein.
    Zamorra stöhnte und ließ vor Überraschung den Griff locker.
    Torre Gerret nutzte die Chance und rammte die Eaust voll in Amos' Gesicht. Der ehemalige Höllenfürst taumelte durch die schiere Wucht zurück. Gerret war frei, warf sich herum und rannte davon. »Wir werden uns wiedersehen!«
    Zamorra fluchte.
    »Er ist viel zu schwach, um vor uns flüchten zu können.« Amos wischte sich indigniert über den Mund. Hatte Zamorra dort tatsächlich Blut gesehen?
    Der Meister des Übersinnlichen rannte los. Er verspürte weniger Zuversicht als Amos. Gerade hier in-Tilasim konnte eine Flucht verheerende Auswirkungen haben. Was, wenn Gerret in ein anderes Zeitfeld gelangte? Wenn er auf diese Weise von Millings und dem Langka temporal getrennt wurde?
    Niemand konnte sagen, was