085 - Von den Morlos gehetzt
Deckel sprang auf, und kurze Zeit später lief ich mit einem Montiereisen und einer Taschenlampe zu Ben zurück, der neben einem runden Kanaldeckel kniete. Ich schob die Stange in eines der Löcher, verkantete sie und drückte sie kräftig nach unten. Als sich das schwere Ding auf der anderen Seite hob, griff Ben mit den Fingern unter den Spalt, wuchtete den Eisendeckel in die Höhe und ließ ihn neben das entstandene runde Loch auf den Betonboden fallen.
Im selben Augenblick leuchtete ich mit der Taschenlampe in den Schacht hinunter, wo das Licht plötzlich die häßliche Visage einer alten, verrunzelten Frau aus der Dunkelheit schälte. Die Alte stieß ein meckerndes, gellendes Lachen aus, dann zuckte der Kopf mit dem strähnigen, wirren Haar hinter einen Mauervorsprung zurück.
Grauen schüttelte uns.
„Claire Benneth“, rief Ben. „Das muß die Hexe gewesen sein.“
„Claire Benneth starb mit fünfunddreißig Jahren“, sagte ich keuchend, immer noch mit dem Ekel ringend, den diese häßliche Fratze in mir erweckt hatte. „Dies da unten ist ein anderes Monstrum.“
Wieder dröhnte das schreckliche Gelächter der Alten zu uns herauf.
Minutenlang standen wir, gelähmt vor Entsetzen, an der Öffnung, dann sagte ich hastig: „Ich werde jetzt hinuntersteigen, Ben, und die Eisenstange und die Lampe mitnehmen. Du fährst den Wagen her und folgst mir dann mit den starken Lampen und allem, was du tragen kannst! Rufe mich, wenn du nachkommst! Ich werde dir dann antworten, damit du mich findest.“
„Rob! Du kannst doch nicht alleine …“
„Doch, ich kann und ich muß.“ Ich griff nach dem Montiereisen, leuchtete in den Schacht hinunter und machte mich an den Abstieg. Sekundenlang stand Ben noch da, dann rannte er los, den Wagen zu holen.
Drei Meter führte die steile Eisenleiter etwa in die Tiefe, dann stand ich in einer hohen Betonröhre, durch die ein fußhohes Rinnsal lief. Von der Alten war nichts zu sehen, aber aus der rechten Fortführung der Kanalröhre hörte ich ihre hastigen Schritte.
Ich faßte das Eisen fester, leuchtete nach vorne und folgte ihr geduckt im Laufschritt. Nach etwa zwanzig Metern mündete die Röhre in einen hohen, breiten Sammelkanal von etwa vier Metern Breite. Trübe, stinkende Kloake trieb in einer Rinne in der Mitte des Kanals; auf beiden Seiten gar es schmale, glitschige Erhöhungen, die wohl als Kontrollwege dienten.
Sekundenlang blieb ich stehen und lauschte den Schrittgeräuschen, die immer noch deutlich zu hören waren. Sie kamen jetzt von links. Ich setzte mich wieder in Bewegung. Der Gestank hier unten war furchtbar. Eine haarige, fette Ratte hüpfte quiekend einige Meter vor mir her und verschwand dann in einem Spalt der Mauer. Ich begann wieder zu laufen, obwohl mir das Atmen schwerfiel, rutschte über den glitschigen Boden, krallte mich am Mauerwerk fest, stolperte weiter.
„Rob!“ hörte ich weit hinter mir die Stimme Bens durch die Gänge hallen. „Rob, wo bist du?“
„Rechts bis zum großen Hauptgang, dann links!“ schrie ich so laut ich konnte, schlidderte ein paar Stufen hinunter, und blieb für einen Augenblick keuchend bei einer Eisenbrücke stehn, die über den Kanal auf die andere Seite führte. Wieder huschten ein paar Ratten an meinen Füßen vorüber. „Laura!“ brüllte ich. „Laura, kannst du mich hören?“
Schaurig hallte das Echo aus den vielen Gangmündungen zurück.
„Lauraaa!“ Hinter mir waren Bens Schritte zu hören. Der tanzende Lichtkegel einer starken Lampe hüpfte neben dem trüben, stinkenden Fluß der Abwässer. Dann wieder das Tappen von vorne. Es mußte von links kommen!
„Über die Brücke, Ben!“ schrie ich, hetzte weiter. Meine Schritte dröhnten hohl durch die Stille, als ich über die schwankende Eisenstange lief. Auf der anderen Seite behielt ich die Richtung eine Weile bei, dann, als von rechts plötzlich ein zweiter großer Kanal zu dem ersten stieß, horchte ich vor der Eisenbrücke, die geradeaus weiterlief, auf die Schritte der Hexe.
Tapp, tapp, tapp, klapperten die Schritte der Frau aus dem Gang. Hinter mir rannte Ben nun über die Eisenbrücke.
„Rechts rein!“ rief ich ihm zu. „Die Schritte sind schon näher!“
Ich lief, was meine Beine hergaben. Meine Lungen begannen zu stechen, die Übelkeit lag mir wie ein Bleiklumpen im Magen, und der Geschmack in meinem Mund war so widerlich, daß ich die Zunge ausgespuckt hätte, wenn ich dazu fähig gewesen wäre.
Ich kam der Alten immer näher und
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